Trostlose Trostrundenspiele Untröstlicher

Wie sich deutsche Handballer und Hockeyspieler durch wertlose Platzierungsspiele mühen und nicht auf Rache sinnen

SYDNEY taz ■ Im Dome saßen 10.000 Zuschauer und verbreiteten die Stimmung zum Spiel: Sie waren still. Einmal rief ein Fan: „Deutschland, Deutschland!“ Niemand stimmte ein. Die deutsche Handball-Nationalelf schlug Ägypten 24:18. Zwei Kilometer weiter besiegte wenig später die deutsche Hockey-Elf Großbritannien 4:0. Der Bundestrainer Paul Lissek kam zu den Journalisten, und es wurde gleich die passende Frage zum Spiel gestellt. Lissek fragte. „Soll ich was sagen?“ Brauchte er nicht.

Trostrunde heißen diese Spiele um die Plätze hinter den Medaillenrängen in der Umgangssprache. Ein irreführender Begriff: Denn Trost ist das Letzte, was Sportler in diesen Partien finden. Praktisch zeitgleich waren die deutschen Hockey- und Handballspieler am Dienstag im Streit um die Medaillen unglücklich ausgeschieden; es musste ihnen wie eine Verhöhnung vorkommen, drei Tage später noch einmal an die Stätte ihrer Niederlage zitiert zu werden. „Am liebsten hätten wir im Moment mit Handball nichts mehr zu tun“, sagte Bundestrainer Heiner Brand. Nach dem Sieg über Ägypten muss er an diesem Samstag gegen Frankreich noch ein weiteres Trostrundenmatch gewinnen, um Fünfter zu werden. „Die Enttäuschung wird durch den Sieg nur größer“, sagte Christoph Wüterich, der Hockey-Präsident, dessen Auswahl am Dienstag im abschließenden Vorrundenspiel die Halbfinalteilnahme durch ein 1:2 gegen die Briten vergab. Nun merkte die Auswahl, wie leicht man die Briten vor drei Tagen hätte schlagen können.

Wie Sieger sah keiner der Deutschen aus. Es waren noch immer die Gesichter von Depremierten, gefasst, aber mit wenig Leben in den Augen. „Das Ausscheiden werden wir so schnell nicht rauskriegen“, sagte Brand. Sie haben es versucht: Rückraumspieler Jörg Kunze ist am Dienstag nach dem Spiel anderthalb Stunden alleine durch den Regen im olympischen Dorf gewandert. Heiner Brand ist mit der Fähre durch die Buchten von Sydney gefahren, „nach Balmä oder was weiß ich“. Hockey-Stürmer Christoph Bechmann hat Bier getrunken. Trainer Lissek hat sich die Bescherung gegen die Briten wieder und wieder angeschaut, auf Video.

Es waren nach allgemeiner Übereinstimmung die besten deutschen Hockey- und Handballteams seit Jahren, und so traten sie auch auf im Turnier – bis auf eine kurze, fatale Auszeit. „Ich weiß nicht, wie oft mir die letzten zwei Minuten gegen Spanien noch durch den Kopf gegangen sind“, sagte Kunze. Und als sie gestern aufwachten, wartete ein neues Spiel. Sie wären am liebsten im Bett geblieben, sagte Hockeyspieler Bechmann. Ehrlich, „was du auch versuchst, du kannst dich für solche schwachsinnigen Partien nicht voll motivieren“, sagte Kunze. „Eigentlich wollen wir nur nach Hause.“

Den Gegnern ging es zum Glück genauso. Regungslos spielten sie ihr Spiel herunter, nur Bechmann wählte das andere Extrem. Er beschimpfte die Schiedsrichter, er startete dynamische Sololäufe, er ging in die Zweikämpfe, dass die Schienbeinschoner flogen. „Absolute Frustbewältigung“, sagte der Hockeystürmer aggressiv. „Gegen die muss man mit drei Stürmern draufgehen“, sagte er. So in der Art muss das zuvor bereits Lissek gesagt haben, der Bundestrainer jedenfalls wies darauf hin, „nicht alle haben Mannschaftsgeist gezeigt, Sie wissen, wen ich meine“, und er empfahl Bechmann, „ein bisschen koreanischer zu werden“. Folgsamer, sollte das wohl heißen. Lissek, der am Anfang gefragt hatte, ob er überhaupt was sagen sollte, hat also am Ende doch noch geredet; er wollte dann gar nicht mehr aufhören. Das war seine Frustbewältigung.

Und ein paar Kilometer den Olympic Boulevard hinauf bewegte das trostlose Trostrundenspiel der Untröstlichen die Zuschauer, die auf die Halbfinals warteten, dann doch noch zu einem begeisterten Applaus: Für Mistress Josephine, die die Schweißflecken vom Hallenboden wischte. RONALD RENG