Vom Sterben des Ich

■ Vortragsreihe: In der Sterbebegleitung treffen sich die Religionen

Sie stehen am Bett eines Sterbenden – was sagen Sie da? Eine der schwierigsten Fragen, bei der die meisten Menschen auch dann zu religiösen Vorstellungen greifen, wenn sie sonst meinten „ohne Gott“ glücklich werden zu können. Weit über hundert Menschen, die meisten sicherlich christliche Kirchensteuerzahler, drängten am vergangenen Mittwoch im Vortragssaal der Domgemeinde, um zu hören, ob ihnen der buddhistische Zen-Meister Michael Sabaß dabei vielleicht helfen könnte. Er sei christlich erzogen, berichtete der, aber woran die Christen eigentlich glaubten, sei ihm nie klar geworden. Nach dem Physik-Studium wandte er sich dem Zen zu und wurde in Japan zum Priester ordiniert. Der Buddhist erklärte unumwunden, eigentlich sei wichtig, gar keine Vorstellung von dem zu haben, was „danach“ kommt. Für Buddhisten gibt es weder Vergebung noch Hölle. Lebensphilosophie ist, das „Leiden“ zu überwinden, das für Buddha in der Selbstbezogenheit des Menschen liegt. Gier, Hass, Wünsche, das „Getriebensein“. Die Meditation soll helfen, „loszulassen“, die Ich-Bezogenheit überwinden. Mit sich ins Reine kommen kann nur, wer los lässt. Quelle des Leidens sind diese „Anhaftungen“, so nennt es der 56-jährige Zen-Meister, der in Bremer Steintor-Viertel lebt, und auch eine feste Vorstellung von dem „Danach“, sei es Himmel oder Hölle, wäre nur eine Anhaftung. Buddhisten glauben an eine „Wiedergeburt“, aber nicht das „Ich“ wird wiedergeboren. Die Vorstellung eines „Ich“ ist der Quell des Leidens, „Ich“ gibt es nicht, für Buddha gibt es nur „Ereignisse“, erklärt der studierte Physiker. Was wird also wiedergeboren? Alles „Unerledigte“, sagt Sebaß, alle „Anhaftungen“. Ziel ist das „Nirwana“, der Zustand des Losgelöst-Seins vom egoistischen Ich. Wenn es bei der Zen-Meditation weh tut, dann sind nicht die Schmerzen das Problem, sagt der Zen-Meister, sondern die Vorstellung vom schmerzlosen Leben. Wer die überwunden hat, kann die Schmerzen leichter ertragen.

Das tröstet nicht. Insbesondere nicht im Sterben. Aber der frühere Pastor Bode findet doch faszinierende Parallelen. Denn auch bei Christen meint die „Nachfolge Christi“ ja eigentlich weitgehende Selbstaufgabe. Die Menschen werden aufgefordert, zu glauben, ihr Schicksal „ganz in die Hand Gottes“ zu legen. „Christus lebt in mir - ich gebe mich selber auf“, habe Paulus gepredigt. Eine ähnliche Metapher, um einem Sterbenden das Loslassen zu erleichtern.

Auch der Zen kennt Rituale für die Gestorbenen, Sterbebegleitung also auch nach dem Tod. „Wem hilft das?“, fragt der Zen-Meister. Ist es wichtig, ob das dem Verstorbenen hilft? Weniger. „Das ist meine Trauerarbeit.“ Der christliche Pfarrer ist fasziniert und erinnert an die alte christliche Tradition der dreitägigen Totenwache. K.W.

Am 11.10. kommt der Muslim Mehmet Kilinc um 20 Uhr ins „Kapitel 8“ an der Domsheide