Luna Papa, Luna Mama

Robert Lepage eröffnete mit „The Far Side of the Moon“ das Festival „Theaterwelten“

Das einzige Lebewesen auf der Bühne ist Robert Lepage. Ein Mann mit sensiblem, bebrilltem Gesicht unter höher gerutschter Stirn, mit großer, kräftiger Statur und hüftwärts weisenden Speckröllchen um Brust und Bauch. Der Regisseur theorielastiger Kunstfilme, stundenlanger Hightech-Theaterkunst und reduktionistischer Solo-Performances zählt zu den altmeisterlichen „Bühnenmagiern“, zur Liga Robert Wilsons und Peter Brooks, die seit Jahrzehnten unverdrossen Welttheater und Avantgarde produziert.

Weder Physiognomie noch Figur sind ohne Belang für „The Far Side of the Moon“, mit der der Kanadier das Festspielfestival „Theaterwelten“ im Schiller Theater eröffnet hat. Denn Lepages einsamer Körper stellt ohne Masken Brüder, Ärzte, Mütter und Wissenschaftler dar und spielt bedachtsam mit Gegenständen. Das Bügelbrett, nur zum Beispiel, sieht man auch in der Rolle des Mopeds und diverser Fitnessgeräte. Die Glastür der Waschmaschine indes tut, als sei sie Aquarium oder Raumkapsel, mutiert zur Flugzeugluke und lässt Mondlicht fahl ein Arbeitszimmer beleuchten.

Apropos. Der Mond und der erbittert-schwachsinnige Wettstreit um seine Eroberung bilden die mythisch-historische Bezugsoberfläche, ohne die der Bruderzwist zwischen Philippe und André alltäglich bliebe. Während TV-Wetter-Moderator André zum Himmel ein bloß pragmatisches Verhältnis pflegt, dreht sein Bruder, der träumende Wissenschaftsphilosoph und Tumorpatient Philippe, ein Video für Extraterrestrische, und korrespondiert mit seinem akademischen Forschungsgegenstand Konstantin Ziolkowski, der von der Mondbesteigung via Fahrstuhl träumte.

Der Kurzschluss von Kaltem Krieg und Geschwisterhass gerät zur psychoanalytischen Kuriosität, nimmt man Lepages Faible für Spiegel und Lunametaphern ernst: Dann sind es allerlei phallische Fantasien, die durch den gigantisch-galaktischen Uterus schießen; der Ost-West-Konflikt wird zum ödipalen Syndrom, das nur durch den Tod von Mond oder Mutter gelöst werden kann. Doch Dichotomien dienen der Schönheit auf der Bühne. Lepage thematisiert immer zwei Hälften eines Problems, realisiert aber davon nur eine: Jeder Monolog funktioniert erst als Dialog, wenn ihn das Publikum mit erfindet. Anders tricky, dabei genial simpel überrumpeln die Spiegelspiele, mit denen Lepage am Ende eine atemberaubend schöne, schwerelose Schwebeszene inszeniert: Der Träumer darf endlich fliegen, auch wenn er sich nur auf dem Boden wälzt.

All die bühnengenerierten Fahrstühle, Apartments, Bars und Vorlesungssäle sind zeitlose Unorte, durch die die Fantasie sich tasten muss, begleitet von dokumentarischen Filmaufnahmen, Hieroglyphen aus Kreide und Laurie Andersons Kompositionen. Sie skizzieren Wunderländer, immer in der allzu menschlichen Hoffnung, dass es auch jenseits des Humanen nach menschlichen Maßstäben zugeht. EVA BEHRENDT