: Die überfreundlichen Spiele
Das waren die Olympischen Sommerspiele, die waren: Mit Macht wollten Medienwelt, Sportler und natürlich ganz Australien Olympia schön finden. Mit dem Ergebnis: Man fand es tatsächlich schön
aus Sydney MATTI LIESKE
Eine besondere Farce bei Olympischen Spielen ist es, dass am Ende alle Blicke an den Lippen eines greisen Fürsten der Korruption kleben und das gesamte Wohl und Wehe einer Nation davon abzuhängen scheint, ob er die magischen Worte von den „besten Spielen aller Zeiten“ sagt. Sydney aber hat mehr vorzuweisen als eine hohle Floskel von IOC-Chef Juan Antonio Samaranch. Jacques Rogge, einer der Nachfolgekandidaten für das Spitzenamt, hat schon vor Tagen gesagt, Sydney habe die besten der 15 Olympischen Spiele ausgerichtet, die der Belgier miterlebte.
Barbaren-Bild widerlegt
Den Bewohnern von Sydney kommt diese Entwicklung ebenso märchenhaft wie überraschend vor. Nach der Fülle von Pannen und Querelen im Vorfeld hatten die meisten geglaubt, dass die Sache grandios schief gehen und die ganze Welt mit dem Finger auf Australien zeigen würde: „Seht Ihr, wir haben es ja gewusst: kulturlose Barbaren, die nichts auf die Reihe kriegen.“
Seit die Stadt die Spiele zugesprochen bekam, kämpfte sie gegen einen Minderwertigkeitskomplex, den die Australier vor allem gegenüber den USA hegen, und in den letzten Jahre focht man auch gegen den Schatten von Atlanta. Die Pannenspiele von 1996 erwiesen sich aber als Glücksfall für Sydney, denn schlechter konnte es kaum werden, und Atlanta bot zudem Gelegenheit, die Fallstricke zu studieren, die auf Olympiaausrichter lauern. Die Stadt zum kommerziellen Jahrmarkt zu degradieren, wurde ebenso vermieden wie die technischen Fehler und das Transportchaos, das in Georgia für Unmut gesorgt hatte.
Flexibles Katzbuckeln
Außerdem war das Organisationskomitee Socog in Sydney klug genug, nicht das IOC zu verärgern. Hatten die Macher von Atlanta, wie sich Rogge erinnert, Einwände vom IOC meist mit der Attitüde abgebügelt, wir sind ein großes, reiches Land und wissen am besten, was wir zu tun haben, habe das Socog „zugehört“, im Klartext: Es katzbuckelte vor den mächtigen Olympiern und tat alles, was diese wünschten. Darüber hinaus bewies es Flexibilität. Als zu Beginn das Transportwesen doch zusammen zu brechen drohte, wurden kurzerhand 16 öffentliche Fernbuslinien gekappt und Fahrer sowie Gefährte für Olympia abgestellt. Das funktionierte nur, weil die Bevölkerung sich inzwischen mit den Spielen identifizierte. Im Gegensatz zu den privaten Atlanta Games war Sydney eine Staatsangelegenheit. Motto: „Be happy and pay the deficit.“
Sportler im Stau
Die Konzentration der wichtigsten Sportstätten reduzierte die Verkehrsprobleme im Wesentlichen auf die Olympiabahn, die vorzüglich funktionierte, und die spektakuläre, attraktive, vor Bars und Restaurants schier überquellende Innenstadt bot einen gigantischen atmosphärischen Vorteil gegenüber der nüchternen und kargen Geschäftsstadt Atlanta. Doch Sydney hatte von vornherein noch einen weiteren Vorteil gegenüber Atlanta: Die Sympathie der Weltöffentlichkeit. Atlanta habe nie eine Chance gehabt, beklagte später der Transportchef von 1996, denn in den USA gäbe es Ressentiments gegen die Südstaaten und in der Welt gegen die USA. Schon bei den ersten Pannen seien die vom Norden bestimmte Presse und die Medien der Welt genüsslich über die Stadt hergefallen. Hätten damals ein Baseballspiel und etliche Boxkämpfe verschoben werden müssen, weil die Akteure im Stau feststeckten wie in Sydney, hätte es einen globalen Aufschrei gegeben. Hier ging die Sache glatt unter. Mit Macht wollte man Sydney 2000 schön finden, also fand man es schön.
Am Ende raubte man dem feindlichen Melbourne auch noch den Beinamen der „freundlichen Spiele“ von 1956, ein Kolumnist witzelte, es seien eher die „over-friendly games“. So bemüht seien die Sydneysider, dass plötzlich sogar die Rowdys in der U-Bahn, anstatt einen niederzuschlagen, begännen, freundlich über ihre olympischen Erlebnisse zu plaudern, und alteingesessene Bürger vor lauter Hilfsangeboten kaum ihre Einkäufe erledigen konnten. Eine Betroffene erklärte, sie werde sich ein Schild umhängen: „Ich wohne hier, bitte helft mir nicht.“
Die Genugtuung der Australier über das allseitige Lob ist gewaltig, zumal den USA auch noch im Schwimmbecken manche Schlappe beigebracht wurde und das Veranstalterland eine Rekordzahl an Medaillen abschleppte. Premierminister John Howard brachte die Bewältigung des Minderwertigkeitskomplexes auf den Punkt: Sydney habe „allen in der Welt, die das vielleicht nicht dachten, demonstriert, dass Australien ein modernes, ernsthaftes, fähiges Land ist und alles, was es will, mit Flair und Charme erledigen kann“.
Vor allem in Woche eins, als Thorpe und Co. das Schwimmbecken unsicher machten, verfiel die Nation in einen wahren patriotischen Rausch. „Ein bisschen ungezügelter Patriotismus ist immer gut für die nationale Psyche“, behauptet Howard. Der Höhepunkt kam mit dem 400-m-Gold der Aborigine Cathy Freeman, über das der stockkonservative Howard scheinheilig sagt, man dürfe es nicht politisch ausschlachten, um im nächsten Satz genau das zu tun. Freemans Triumph zeige, so der Hardliner in der Aborigines-Frage, dass „das Land wesentlich versöhnter ist, als viele behaupten“. Genau das wird von vielen bestritten, die davor warnen, die gemeinsame Begeisterung von Ureinwohnern und weißen Australiern für Cathy Freeman überzubewerten. Am Leben der Aborigines und dem Stand der Debatte um eine vertraglich festgelegte Versöhnung habe deren Gold nichts geändert.
Besonders stolz ist man auf sein begeisterungsfähiges Sportpublikum, doch blieb Sydney in diesem Bereich deutlich hinter Atlanta zurück. Abseits von Howards ungezügeltem Patriotimus, der auch Presse sowie Fernsehen beherrschte und auf die Dauer nervtötend wirkte, zeigten die Australier wenig Bereitschaft, sich auf fremde Sportarten einzulassen. Während 1996 nahezu jede Sportstätte schon in den Vorrunden aus den Nähten platzte und allenthalben überschäumende Stimmung herrschte, gab es nun außer bei Schwimmen und Leichtathletik fast überall viele leere Plätze, wie etwa beim Finale im Bogenschießen, beim Halbfinale im Frauenfußball oder beim Baseball.
Der Kartenschwindel
Die vom Socog behauptete Rekordprozentzahl verkaufter Karten ist entweder ein gewaltiger Schwindel oder Leute mit Tickets sind einfach nicht gekommen. Wer zum Beispiel im Paket Bogenschießen nehmen musste, um Leichtathletikkarten zu erhalten, ging eben nur zu letzterem. Waren keine Australier am Start, blieb es meist recht ruhig, für Stimmung sorgten dann nur die Fangruppen beteiligter Länder. Im Tischtennis Chinesen und Koreaner, bei einem rein europäischen Doppel-Viertelfinale etwa gab es bei Punktgewinnen nicht mal Applaus vom indifferenten Publikum. In der Presse häuften sich Texte, in denen über „fremde“ Sportarten wie Ringen, Handball oder Badminton gewitzelt wurde, am besten brachte die Haltung ein Zuschauer auf den Punkt, der beim Frauen-Gewichtheben ein Schild hoch hielt: „Ich hatte Schwimmen bestellt, das habe ich bekommen.“ Der Sympathiebonus für Sydney verkraftete aber auch diesen kleinen Makel, schließlich waren fast überall Australier am Start.
Sydney, die Dopingspiele
Daran, dass diese Spiele wohl nicht als die freundlichen Spiele, sondern als die Dopingspiele in die Geschichte eingehen werden, trägt Sydney keine Schuld. Wer geglaubt hatte, die Entwicklung sei soweit fortgeschritten, dass niemand erwischt würde, sah sich getäuscht. Es gab so viele Ertappte wie selten, vor allem aus armen Nationen in armen Sportarten, dort, wo das Geld für modernes Doping fehlt und es auch keine mächtigen Verbände gibt, die positive Befunde vertuschen können. Forderungen, Gewichtheben aus dem Programm zu streichen, gehen völlig an der Sache vorbei. Ein funktionierendes Antidopingsystem beweist sich gerade daran, dass Leute erwischt werden. Am verdächtigsten sind die Sportarten, in denen es keine Dopingfälle gibt, allen voran das Schwimmen.
Schlechte Publicity bringen jedoch die C. J. Hunters, Melintes oder Iwanows, die auffliegen, was auch das IOC weiß und weshalb es viele Jahre wenig tat, um wirksam einzugreifen. Angesichts rapide sinkender Ratings bei NBC im für Olympia wichtigsten Land, den USA, die sicher mehr mit dem olympischen Imageverfall zu tun haben, als mit zeitversetzten Übertragungen, hängt die Zukunft der Spiele vor allem davon ab, ob nach der Ära Samaranch eine glaubwürdige moralische Erneuerung gelingt. Allzuoft wird nicht der Glücksfall eintreten, dass eine Stadt wie Sydney, „welches man mit dem Gedanken an Olympia erfunden haben könnte“ (The Guardian), die Sache herausreißt. FOTO: AP
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