Obskures Eigenlob der ersten Reihe

ARD und ZDF waren offenbar richtig glücklich mit ihren Olympiaübertragungen. Und niemand weiß, warum. Schließlich gelang es beiden öffentlich-rechtlichen Anstalten, bei wichtigen Entscheidungen ziemlich oft leider gerade mal woanders zu sein

von JAN FEDDERSEN

Am vorletzten Tag ihrer Olympiaberichterstattung hatte das ZDF wieder zum alten Selbstbewusstsein gefunden. Durchschnittlich 34 Prozent habe nächtens der Marktanteil betragen, wenn das Zweite live übertragen hatte, gelegentlich schnellte der Wert sogar auf 53,6 Prozent hoch. Ähnliches hat die ARD zu vermelden: Bis in den Nachmittag hinein war der jeweils Olympia übertragende Sender Marktführer, selbst in Konkurrenz zu den nachmittäglichen Talkshows. Durchschnittlich knapp vier Millionen Zuschauer schalteten sich zum ZDF oder zur ARD.

Und doch haben sowohl ARD wie auch ZDF keinen Grund, den Trip nach Sydney als golden zu verbuchen. Teilweise war Eurosport bei Nachtübertragungen Sieger, wie überhaupt dieser Sportsender seine Position dem DSF gegenüber fett ausbauen konnte. Am ersten Wochenende schauten 38,6 Millionen Menschen europaweit die Olympiashow via Eurosport.

Debakulös fielen die Quoten allerdings am Abend aus, bei den Zusammenfassungen, beim ZDF nach den Heute-Nachrichten, bei der ARD gleich nach der Tagesschau. An keinem Abend konnten die Sender sich gegen irgendeine Konkurrenz behaupten, schon gar nicht bei der Fülle von Fußballspielen, die in den beiden vorigen Wochen angeboten wurden. Gegen die zweite Runde von Big Brother, gegen das Fernsehspiel „Der kleine Dachschaden“ oder gar die Verleihung der „Goldenen Stimmgabel“ hatten Delling, Beckmann, Steinbrecher, Kerner & Co. ohnehin keine Chance.

Aber lag das nur an dem Mangel, dass Sport (nebst dazugehörigen Sieger- und Verliererinterviews) aus der Konserve einfach nicht schmeckt? Daran, dass erst am dritten Olympiawochenende die meisten deutschen Medaillen gewonnen wurden, so dass es länger brauchte, um das heimische TV-Volk für sportive Personalityshows zu interessieren. Aber irgend etwas muss schief gelaufen sein, denn in Ländern wie Spanien oder Schweden lief es prächtig mit den Einschaltquoten auch bei den Zusammenfassungen am Abend, obwohl beide Länder wie ARD und ZDF für die Bundesrepublik mit einer raren Schar von Medaillengewinnern aufwarten konnten. Womöglich lag es erstens an der Regie, besser: an der Koordination, zu welchem Ereignis man gerade schaltet. Sollen wir lieber Judo zeigen oder Schwimmen oder Radfahren? Da leistete sich die öffentlich-rechtlichen Sender bemerkenswerte Pannen. So wurden die 400-Meter-Hürden-Finals überhaupt nicht live übertragen, dafür um sensationelle fünf Stunden zeitversetzt. Gelegentlich schaltete man auch einfach vom Ort des Geschehens weg und brachte dafür eine Volleyballhalbfinalpartie zwischen Russland und Argentinien – wobei gegen beide Teams nichts zu sagen ist. Gleichwohl liefen zur gleichen Zeit Leichtathletikwettbewerbe, die, unabhängig von der Beteiligung deutscher Athleten, just in die Entscheidung gingen.

So bekam der TV-Konsument in der ersten und zweiten Reihe zwar die Hammerwerferin Kirsten Münchow zu sehen, aber leider nur als Aufzeichnung mit ihrem besten, fünften Versuch, der zur Bronzemedaille reichte. Das aber ist keine Sportübertragung, sondern nur ein Hinterherhecheln in der irrigen Annahme, wir Zuschauer würden uns nur für Spots – und eben nicht für die Dramaturgie von Wettkämpfen – interessieren.

Davon abgesehen, dass beide Sender, die sich erst in zwei Wochen intern auf Fehleranalyse begeben wollen, über offenkundig nicht hinreichend qualifiziertes Interviewer- und Moderatorenpersonal verfügt (wer brieft die eigentlich immer so schlecht, wer sagt den Steinbrechers & Co. eigentlich mal, dass gute Fragen immer besser sind als verheulte „Wie haben Sie das verkraftet“-Anteilnahmen?), bleibt zu klären, weshalb die fragile Ware Live-Sport so erodiert wird.

Vielleicht ist beiden Anstalten das alles egal, obwohl wütende Zuschauerreaktionen ihnen zu denken geben müssten. Sie wissen, dass die TV-Rechte an Olympischen Spielen vom IOC niemals in Europa an Privatsender verkauft würden: Für das Gesamtpaket aus Bogenschießen, Radfahren, Leichtathletik und Taek-Won-Do legt kein Privatsender so viel Geld hin wie die Eurovision. Die Quoten wären zu gering; Fußball ist da die bessere Ware, selbst im Hinblick auf die Vermarktung von Decodern.