Militärs vor Gericht

Der Prozess um das Massaker von Raboteau soll den Putsch und die Schreckensherrschaft in Haiti aufarbeiten

SAN SALVADOR taz ■ Vor sechs Jahren verjagten 20.000 US-Marines den Putsch-General Raúl Cedras aus Haiti. Am vergangenen Freitag begann endlich die juristische Aufarbeitung seiner Schreckensherrschaft. 200 Polizisten sicherten das Gerichtsgebäude in der Provinzstadt Gonaives. Mit Lautsprechern wurde die Verhandlung gegen die 58 Angeklagten zu Hunderten von Zuhörern ins Freie übertragen.

Nicht nur das Massaker von Raboteau, bei dem am 22. und 23. April 1994 mehrere Dutzend Menschen ermordet wurden, soll bei dem Prozess verurteilt werden. Im Hintergrund soll dabei die Geschichte des Putsches und der folgenden Militärwillkür aufgearbeitet werden, sagte eine Regierungssprecherin. Doch die Hauptschuldigen fehlen vor Gericht. General Cedras hat sich nach Panamá abgesetzt und betreibt dort einen Computerladen. Der damalige Milizenchef Emanuel Constant ist Immobilienmakler in New York.

In den drei Jahren unter Cedras’ Diktatur sind in Haiti rund 3.000 Menschen ermordet worden. Tausende wurden verstümmelt. Das Massaker von Raboteau, einem Armenviertel von Gonaives, war der Anfang vom Ende der Herrschaft Cedras’. Milizionäre fielen in einer nächtlichen Razzia über das Slum her, zerrten Menschen aus ihren Hütten, schlugen und ermordeten sie. Am nächsten Morgen fingen sie am Strand die Fischer ab, die die Nacht auf dem Meer verbracht hatten. Ziel der blutigen Razzia mit bis zu hundert Toten war, die Anhänger des von Cedras gestürzten linkspopulistischen Präsidenten Jean-Bertrand Aristide einzuschüchtern.

Kurz nach dem Massaker landeten am 18. September 1994 in Haiti 20.000 US-Marines, als Teil einer internationalen UN-Eingreiftruppe unter Führung der USA. Schon am 15. Oktober wurde Aristide wieder eingesetzt. Doch die Marines brachten nicht nur den Präsidenten zurück. Sie nahmen im Gegenzug 160.000 Seiten Akten der Diktatur mit. Bis heute hat sich dadurch die juristische Aufarbeitung der Militärherrschaft verzögert.

TONI KEPPELER