Kämpfe in Palästina

Mehr als zwei Dutzend Tote, viele Verletzte: Im Westjordanland und im Gaza-Streifen liefern sich palästinensische Demonstranten und israelische Armee die schwersten Schlachten seit vier Jahren

RAMALLAH/GAZA dpa/ap/taz ■ In zahlreichen Städten des Westjordanlandes und im Gaza-Streifen, aber auch in Nazareth im israelischen Kernland haben sich auch am Sonntag Palästinenser Straßenschlachten mit der israelischen Armee geliefert. Bei den Kämpfen wurden seit Donnerstag mindestens 23 Menschen getötet und etwa 700 verletzt. Nach palästinensischen Angaben beschoss die israelische Armee am Sonntag auch die Gebäude des palästinensischen Geheimdienstes und der paramilitärischen Einheiten in Rafach bei Gaza mit Raketen. Ein Telefonat zwischen dem israelischen Ministerpräsidenten Ehud Barak und dem palästinensischen Präsidenten Jassir Arafat blieb ergebnislos.

Angefangen hatte alles am Donnerstag mit dem demonstrativen Besuch des israelischen Oppositionsführers Ariel Scharon auf dem Tempelberg im Herzen Jerusalems, wo sich die Al-Aksa-Moschee und der Felsendom befinden. Unmittelbar nach dem Besuch Scharons begannen die Proteste palästinensischer Demonstranten.

Unter den am Samstag Getöteten war auch ein zwölfjähriger Junge namens Mohammed ad-Durra, der am Samstag, so die israelische Version, ins Kreuzfeuer palästinensischer Heckenschützen und der israelischen Armee geriet. Bilder eines französischen Kameramanns zeigen hingegen, dass die palästinensische These, er sei Opfer eines gezielten Schusses von israelischen Scharfschützen geworden, eher zutrifft. Auch israelische Fernsehzuschauer konnten am Abend sehen, wie das Kind minutenlang schrie und schließlich – tödlich im Unterleib getroffen – verstummte.

Die meisten Toten wurden am Sonntagmittag unter großer Anteilnahme der palästinensischen Bevölkerung beerdigt. Unmittelbar nach den Begräbnissen kam es zu erneuten Straßenschlachten. In Nazareth griffen mehrere hundert überwiegend maskierte Jugendliche israelische Polizisten mit Steinen an. Diese setzten Tränengas und Gummi-ummantelte Stahlgeschosse gegen die Palästinenser ein. Die Hauptstraße der Stadt war von brennenden Reifen blockiert, schwarzer Rauch stieg in den Himmel. In der Nähe der Stadt Hebron im Westjordanland warfen etwa 150 Palästinenser vor und nach der Beerdigung der Opfer Steine auf vorbeifahrende israelische Autos und Soldaten.

Der von Palästinenserpräsident Jassir Arafat ausgerufene Generalstreik aus Protest gegen „das brutale Massaker am palästinensischen Volk“ wurde auch am Sonntag weitgehend beachtet. Das Kabinett Arafats forderte am Samstagabend die Vereinten Nationen auf, das Verhalten der Israelis zu untersuchen.

In Kairo ist die Arabische Liga am Sonntag zu einer Dringlichkeitssitzung zusammengetroffen. Generalsekretär Esmat al-Meguid machte den Besuch Scharons auf dem Jerusalemer Tempelberg für den Ausbruch der Gewalt verantwortlich. Der Informationsminister der palästinensischen Autonomiebehörde, Jassir Abed Rabbo, verlangte die Einsetzung eines internationalen Komitees zur Untersuchung der „Verbrechen gegen die Palästinenser sowie deren heilige islamische Stätten“. „Das ist Israels zivilisierte Behandlung von Palästinensern. Wäre dies irgendwo anders in der Welt geschehen, dann hätten wir eine scharfe Verurteilung erlebt“, sagte er. Zuvor hatte bereits Ägyptens Präsident Hosni Mubarak dem israelischen Ministerpräsidenten Barak in einem Telefongespräch seinen „Ärger und sein Bedauern“ mitgeteilt. sf

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