Zwölf Tage Stringtanga

In der Großdisko „Kontrast“ in Dahlwitz-Hoppegarten wird ein Pärchen für zwei Wochen in einen Käfig gesperrt. Das ganze soll ein erotisches Duell sein – wer am Ende mehr Punkte vom Publikum bekommt, kann mit 2.000 Mark nach Hause gehen

von KIRSTEN KÜPPERS

Ein Käfig mit Menschen drin ist spannend. Das funktioniert bei Kafka und Bukowski genauso wie für Science-Fiction-Filme oder Big Brother bei RTL2. In Zwingern, Terrarien, Labor-schubladen oder Ikea-Containern versuchen Eingesperrte unter künstlichen Bedingungen Alltag zu leben. Die anderen gucken zu. Im Rotlichtmilieu dienen Käfige darüber hinaus als erotische Anheizmaschinen. Schöne Raubtierwesen räkeln sich naturgewaltig hinter kalten Gitterstäben – zwar den Blicken des Betrachters ausgeliefert, doch nach der Strip-Show verschwinden sie meist überlegen hinter irgendeiner Tür. Zurück bleibt die Erinnerung an ein sexuelles Erlebnis.

Die Chefs der Großraumdisko „Kontrast“ im Gewerbegebiet von Dahlwitz-Hoppegarten verbinden nun die Big-Brother-Idee eines Langzeitversuchs mit der erotischen Attraktion eines Gogo-Käfigs. Unter dem Slogan „Wir fangen da an, wo Big Brother aufhört“, wollen sie dem Fernsehsender RTL2 vor allem in einem nacheifern: mit der Käfig-Faszination reich und berühmt werden. Ein nur mit Stringtangas bekleidetes Pärchen wird zwölf Tage lang in einem silbernen Käfig im Diskoraum ausgestellt, „um sich hassen oder lieben zu lernen“. Zuschauer dürfen die beiden necken, mit Bananen füttern oder ihnen beim Dauerduschen zusehen. Wer beim „erotischen Duell“, die meisten Sympathiepunkte des Publikums erringt, bekommt 2.000 Mark.

Außerdem veranstaltet Lars Fibranz, stellvertretender Geschäftsführer des „Kontrast“, den „Pärchenknast“ um „gegen die Konkurrenz anzukämpfen“, wie er erklärt. Als behauptete „größte Diskothek Deutschlands mit 8.000 Gästen am Wochenende“ muss der Tanzpalast mit Schaumpartys und Table-Dance-Aktionen anderer Diskotheken im Berliner Umland mithalten können. Der Käfig ist in diesem Animationsprogramm für Vorstadtjugendliche nur das neue Versprechen einer guten Show am Wochenende. Und Sex zieht immer Publikum, weiß der Kollege Udo Borghes. Er hat sich den „Konstrast-Knast“ ausgedacht. In der Vergangenheit verdiente er sein Geld mit „erotischen Stadtrundfahrten“ und der Vermarktung eines „erotischen Türstehers“.

Am Sonntag wurden die 18-jährige Einzelhandelskauffrau Melanie Korn und der 19-jährige Binnenschiffer Daniel Polzt in den Käfig gesperrt. Melanie hat ein Stupsnäschen und behauptet frech, sie wollte „schon immer mal mit einem Mann in den Knast“. Daniel trägt Ohrringe und sagt: „Ich zieh mich gerne aus.“ Die beiden konnten sich bei einem vorherigen Casting gegenüber 50 Bewerbern durchsetzen, weil sie „psychisch und erotisch exhibitionistisch veranlagt sind“, wie Veranstalter Borghes findet. Melanie und Daniel kannten sich vorher nicht.

Zahlreiche Fernsehsender sind zum Einschließtermin angerückt. Für gute Bilder besteht das Disko-Publikum an diesem Abend hauptsächlich aus Mitarbeitern und Freunden. Normalerweise ist das „Kontrast“ sonntags geschlossen.

Mit Trockeneisnebel, einer Technoversion von „Spiel mir das Lied vom Tod“ und einem süßlichen Lächeln des Diskjockeys geht es los. Ein kahlköpfiger Conferencier in Bundfaltenhose befiehlt einem Muskelmann, die Kandidaten zu holen. Er schleppt Daniel und Melanie an Handschellen heran. Dann muss Daniel strippen. Die Frauen im Publikum drängen nach vorne. Als er beim Stringtanga ankommt, ist Melanie mit „Mach dich nachtfertig“ dran. Die männlichen Zuschauer grinsen. Eine Freundinnengruppe isst gelangweilt eine Portion Pommes. Der Striptease sieht professionell aus. Melanie und Daniel haben schon früher als Gogo-Tänzer im Kontrast gejobbt.

Als die beiden in ihren 3 x 4 Meter großen Käfig geführt werden, wirken sie plötzlich wie unschuldige Unterwäsche-Models – seltsam rein und zerbrechlich. Die Käfigöffnung wird unglamourös mit einem Dixi-Klo versperrt. In einer Großraumdisko gelten als Wegmarken für Romantik eine Flasche Asti-Cinzano und eine Luftmatratze. Auch zwei Duschköpfe sind in den Käfig eingebaut.

Im Programm der Veranstalter sind jetzt telegene Interviews durch Gitterstäbe vorgesehen. Der Conferencier bellt: „Bitte, bitte, bietet uns eine geile Show.“ Als Daniel nach seiner Hand auf Melanies nacktem Bein gefragt wird, antwortet er, er befolge nur die Anweisungen. Die ständigen sexuellen Anspielungen des Conferenciers gehen einem auf die Nerven.

Auch Melanies Freund und „Mann fürs Leben“ ist nach Hause gegangen, weil er „mit der Situation nicht so ganz klar kommt“, wie sie erzählt. „Aber in puncto Treue kann er sich auf mich verlassen.“ Sie nennt ihren Käfiggenossen trotzdem einen „knuffigen Jungen“. Die Journalisten fragen andauernd, ob es schon „knistert“.

Melanie und Daniel strahlen minutenlang maskenhaft in die Kameras. Man hat bei beiden das Gefühl, etwas am inneren Horizont leuchten zu sehen. Ein Besucher aus Schmöckwitz bemerkt: „Das ist gegen jede Menschenwürde und wieder ein Beispiel von Verfall der Sitten.“

Zum Schluss bringt Daniels Mutter Zigaretten. Sie findet die Aktion „super“ und küsst ihren Sohn für die Kameras immer wieder durch die Gitterstäbe auf den Mund. Am 12. Oktober werden Melanie und Daniel mit einer großen Party wieder aus dem Käfig gelassen.