Die besten Selbstausbeuter

Wolfgang Jäschke studierte Mathematik und Informatik. Als selbstständiger Taxiunternehmer 72 Stunden Wochenarbeitszeit kommt er „auf den Sozialhilfesatz“

BERLIN taz ■ Es gibt Jobs, die wird man nicht mehr los. Was ein Segen sein kann. Oder ein Fluch. Oder beides. Wolfgang Jäschke wartet in seinem Mercedes Combi Taxi auf orthopädisch gepolstertem Komfortsitz heute vor Karstadt in Berlin Wedding. Der nächste Fahrgast kommt bestimmt. Das ist Jäschkes einzige Sicherheit.

Die Sicherheit garantiert ihm nach Abzug aller Kosten ein monatliches Einkommen „unterhalb des Sozialhilfesatzes“, berichtet er. Jäschke ist Taxibesitzer. Aber das heißt in Berlin nicht mehr viel. Seit einigen Jahren sinken Jäschkes Umsätze. Nach der Wiedervereinigung vor zehn Jahren drängten Tausende neuer Taxen auf den Markt. Nur die Fahrgäste vermehrten sich nicht. „Der Kuchen ist der gleiche“, so Jäschke. Nur die Stückchen wurden kleiner.

Jetzt kommen auch noch schlechtere Abschreibungsmöglichkeiten und hohe Spritpreise samt Ökosteuer dazu. „Wir kriegen viel ab“, sagt Jäschke. Vorsichtshalber hat der 46-Jährige seine Arbeitszeit auf 72 Wochenstunden hochgefahren. Jäschke ist, als die Zeiten noch besser waren, auf der Taxe hängengeblieben. „Lachen Sie nicht“, sagt er, wenn man ihn nach seiner Ausbildung fragt, „ich habe Mathematik und Informatik studiert.“ In den 80er-Jahren schmissen viele Studenten die Ausbildung, blieben in West-Berlin und gründeten Taxiunternehmen.

Jäschke fing mit drei Wagen an und wollte später „auf zehn Taxen hochgehen und gar nicht mehr selbst auf dem Bock sitzen“. Daraus wurde nichts. Heute hat Jäschke nur noch ein Auto, keine Angestellten mehr und eine Bandscheibe weniger. Seine Frau mit ihrem Job im öffentlichen Dienst sei „der einzig sichere Anker“ in seinem Leben. Sie hat eine halbe Stelle.

Die Politik, glaubt der zweifache Familienvater, bringe Leuten wie ihm fast nur Nachteile. Einzelunternehmer müssen sich die private Nutzung des Taxis heute steuerlich höher anrechnen lassen als früher. Und die Ökosteuer schlägt im Benzinpreis zu Buche. „Dabei haben wir nichts von den niedrigeren Rentenbeiträgen“, sagt Jäschke, „wir zahlen doch gar nicht ein.“ Selbständige müssen sich privat versichern – das ist teuer. Einige Kollegen hätten sogar ihre Krankenversicherungen gekündigt.

Wenn Politiker die „neue Selbstständigkeit“ und „Risikobereitschaft“ des Einzelnen predigen, kann Jäschke nur müde lächeln. „Die politische Botschaft heißt: Wir brauchen mehr Leute, die für weniger Geld arbeiten. Der Unternehmer ist der beste Selbstausbeuter.“ Wenn seine Stundenumsätze unter 20 Mark sinken, fällt auch der rechnerische Nettolohn unter 10 Mark.

Trotzdem ist Jäschke keiner von denen, die nur noch auf die Regierung schimpfen. Schließlich, so sagt er, könne er sich auch wieder fest anstellen lassen. Fahrer werden immer gesucht. Mit überlangen Arbeitszeiten ließen sich schon 2.000 Mark netto herausholen. Aber er lasse sich „nicht gerne etwas sagen“, meint er und lächelt. „Die Wirtschaftsdaten für dieses Jahr sehen doch schon wieder besser aus.“ Und da kommt auch schon der nächste Fahrgast. BD