in fußballland
: CHRISTOPH BIERMANN über Marathonfußballer

Straßenbahnfahrt zu sich selbst

Mein Freund Holger ist am vergangenen Wochenende zum dritten Mal einen Marathon gelaufen und erneut angekommen, worauf ich ziemlich stolz bin. Um ihn zu unterstützen, hatte ich mich an einer Verpflegungsstation unweit meiner Wohnung in den Regen gestellt und wollte ihm vom Straßenrand aus ermunternd zurufen. Eine gute Stelle war das, wie der Großwildjäger dem Büffel schließlich auch am Wasserloch auflauern würde, denn dort konnte man den Läufern bestens zuhören. Sehen auch, denn die meisten von ihnen hatten nach 27 Kilometern immer noch beseelte Gesichter und nahmen sich am Wasserloch die Plastikbecher, tranken einen Schluck und warfen sie dann weg. Knurps und knirsch machte es, als die nächsten Läufer sie zertraten. Je mehr Läufer kamen, desto mehr knurpste und knirschte es, sodass ich schließlich eher hörte als sah.

Die ganze Straße war bald mit dem Bechermüll bedeckt. Knurps und knirsch, das war ein schöner Soundtrack für den Lauf zu sich selbst, wie ihn unser Außenminister vorgemacht hat. Im Fernsehen war später davon die Rede, dass die meisten Läufer am Ende des Marathons eine Art von Wiedergeburt erleben würden – was beim Fußballspielen, darüber wurde nicht gesprochen, leider unmöglich ist. Liegt darin der Zusammenhang zwischen steigenden Zahlen von Dauerläufern und dem hier mal behaupteten Rückgang von Hobbykicken?

Den weltweit sensationellen Erfolg von Fußball hat es in den vergangenen 150 Jahren ausgemacht, dass man dazu nur eine freie, halbwegs ebene Fläche, einen Ball und ein paar Leute braucht, die ihn hin und her schießen. Was aber inzwischen schon fast zu viel ist. Nicht wegen fehlender Flächen, sondern fehlender Leute wegen. Wenn nämlich einmal der in den Köpfen fest installierte Termin wegfällt, ist es fast unmöglich, einen neuen zu etablieren.

Wir hatten jahrelang am Montagabend in der Trainingshalle eines Bundesligisten gespielt, bis einer unserer Mitstreiter auf die ganz und gar dumme Idee kam, in einem Bericht für die Lokalzeitung den Zustand der sanitären Einrichtungen zu kritisieren, was dem Platzwart, der sich mit unseren Besuchen ein kleines Taschengeld hinzuverdiente, so auf die Palme brachte, dass er uns rauswarf. Seitdem hat sich kein neuer Ort und kein neuer Termin finden lassen. Eine traurige Geschichte, die aus glücklichen Montagskickern Dauerläufer, Schwimmer oder gar Sesselfurzer gemacht hat.

Das sagt zwar viel über die Terminnot oder mangelnde Flexibilität in einer sich vereinzelnden Welt, aber nichts über die mangelnde Aussicht auf Wiedergeburt im Fußball. „Ich möchte wie ein Prisma sein, durch das Licht in mein Universum fällt“, hat Toni Schumacher in seiner Biografie „Anpfiff“ schreiben lassen. So wie dieser Satz war auch seine Arbeit als Trainer bei Fortuna Köln, wo er zu Recht in einer Halbzeitpause entlassen wurde; und so hoffnungslos – knurps und knirsch – sind auch die Versuche, dem Kicken etwas Transzendenz abzugewinnen. Spielt man Fußball, verliert man sich im besten Fall, findet aber nicht zu sich selbst, wie es beim Laufen offensichtlich der Fall ist. Man horcht dabei nicht in sich hinein, sondern geht dabei aus sich heraus. Das sind zwei konkurrierende Modelle, und offensichtlich ist das Aufgehen im Spiel nicht mehr so konkurrenzfähig, wie es einmal gewesen ist. Jedenfalls hierzulande.

Holger habe ich übrigens an der Wasserstelle verpasst, und am nächsten Tag musste ich eine lange Fahrt in die Außenbezirke der Stadt antreten, um dort mein abgeschlepptes Auto auszulösen, weil ein vormals regulärer Parkplatz infolge des Marathonlaufs ein verbotener geworden war. So bekam ich, im Ringen um Gelassenheit und Fassung, auch noch etwas vom Geist der Marathonläufer ab. Den Weg zum Wagen ließ ich zu einer Straßenbahnfahrt zu mir selbst werden.

Fotohinweis:Christoph Biermann, 39, liebt Fußball und schreibt darüber