pampuchs tagebuch
: Lieber Intel als die Internationale

Amerika hat es zwar nicht unbedingt besser, aber es bietet dem Reisenden doch allerlei Kurzweil – zumal wenn er sich die Bonbons herauspickt. Zu diesen Bonbons gehört derzeit eine ziemlich fetzige Broadway-Inszenierung von „Cabaret“ im berühmten Studio 54 in New York – und das sage ich nicht nur (aber auch), weil ich netterweise zwei Pressekarten bekommen habe. Sam Mendes, der Regisseur von „American Beauty“, hat das Studio in ein Berliner Cabaret der 30er-Jahre verwandelt, und jetzt läuft die Show schon zwei Jahre und ist immer ausverkauft. Bei www.cabaret-54.com kann man sich ein paar Fotos und sogar einen kleinen Stream angucken, und auch gleich seine Tickets bestellen.

Die prüden Amis sind von der freizügigen Darstellung einigermaßen (wohlig?) geschockt, wie es ja überhaupt immer ein Erlebnis ist, welch hausbackene Wertvorstellungen in der Heimat der Tapferen und im Land der Freien herrschen, wenn es ums Körperliche geht.

Ganz anders verhält es sich in Gringolandia, wenn es ums Geld geht. Da nun legen die Amerikaner derzeit alle Hemmungen und Hüllen ab und verschreiben sich dem Turbokapitalismus in einer Art, die wiederum dem gemeinen Europäer die Schamröte ins Gesicht triebe.

Aufschlussreich war in dieser Hinsicht ein Besuch bei meinem lieben amerikanischen Neffen in Pennsylvania. Mike, gelernter Ingenieur, der vor einigen Jahren ein hübsches Teppichreinigungs-Business namens „all-brite“ aufgemacht hat, um sich dem landesüblichen Arbeitsstress zu entziehen, hat sich inzwischen – wie die halbe Nation – voll ins Aktien- und Optionshandelsgeschäft gestürzt. Wie es sich gehört, hat er ordentlich investiert, Kurse besucht, einen tollen Laptop gekauft und allerlei Spezialdienste und Softwareprogramme angeschafft, um nun täglich Dow und Nesdaq, Stocks und Markets zu analysieren. Danach ruft er seinen Broker an.

Das Ganze ist ein veritabler Dreijahresplan: Mike will dabei sein relativ bescheidenes Grundkapital pro Monat stetig um 20 Prozent vermehren. Seine liebe Frau Linda sorgt als Krankenschwester für die Basis-Absicherung, und wenn es nicht klappt, reinigt er in 2 œ Jahren eben wieder Teppiche.

Einen Abend lang hat mich Mike dann in die heißesten Charts seiner computergestützten Geldvermehrung eingeführt. Er hat mir am Bildschirm jede Menge Kurven und japanische „candlesticks“ gezeigt, (die die täglichen Kursschwankungen veranschaulichen), er hat mir die „bounces“ der Notierungen erläutert und die Ups und Downs kundig vorausgesagt. Er sei kein „daytrader“ und kein „gambler“, sagt er, sondern ein seriöser Geschäftsmann, der die Märkte beobachte und dann kontrolliert zuschlage. „Let the trend be your friend“, laute sein edles Motto, und im Übrigen helfe es schließlich der gesamten Wirtschaft, wenn Geld an der richtigen Stelle investiert werde.

Ich war nach dem kapitalistischen Hightech-Feuerwerk ziemlich geplättet, fühlte mich aber doch bemüßigt, Mike an unseren gemeinsamen Vorfahren (seinen Urgroßvater) zu erinnern. Der beschloss vor fast hundert Jahren, Revolutionär zu werden, wurde später Bolschewik und brachte es immerhin bis zum Volkskommissar der Russischen Sowjetrepublik. Was der alte Bronski wohl zu den Geschäften seines Urenkels gesagt hätte?

Mike erinnerte mich trocken daran, dass unser Ahn später von Stalin umgebracht wurde. Er, Mike, werde einen anderen Weg gehen, um die Welt zu verbessern. Er setze mehr auf Intel als auf die Internationale. Soll er's versuchen. Aber so ganz leicht wird's auch für ihn nicht werden: Drei Tage nach unserem Gespräch sind die Intel-Aktien ganz böse in den Keller gefallen. Broker, hört die Signale.

THOMAS PAMPUCH

thopampuch@aol.com