Sieg des Willens und der Duldung

Sie erfand für die Nazis ein neues Filmgenre, sah sich aber selbst nicht als Mittäterin. Zu Rainer Rothers Buch „Leni Riefenstahl. Die Verführung des Talents“, der ersten deutschsprachigen Darstellung von Leben und Werk der Filmemacherin und Fotografin

von FRIEDA GRAFE

Es kann nie genug kritische Bücher über den Fall und die Filme von Leni Riefenstahl geben. Weil es ein Fall des Kinos ist, des Verhältnisses von Film und Politik und auch von Männern und Frauen. Die Schuldzuweisung, die lange Zeit, auch bequem, die Diskussion bestimmt hat, ist verlagert. Es tun sich Einschnitte auf zwischen den Generationen, und wenn ein Autor, der nach dem Zweiten Weltkrieg geboren ist, sich vornimmt, Riefenstahls Filme, unter Verwendung bisher nicht konsultierter Akten und Dokumente, „kulturgeschichtlich“ einzuordnen, dann kann man gespannt sein, wie das Problem ihm sich darstellt.

Jetzt dieses Buch zu schreiben, das sich nicht bloß als Biografie versteht, zu einem Zeitpunkt, an dem durch Ausstellungen, Wiederaufführungen und Ausstrahlungen im Fernsehen der Bann sich ein wenig hebt, ist für das Geschichtsinteresse – das manchmal zur Geschichtsgläubigkeit wird – des Autors entscheidend. Auch für die Einsicht, dass seiner Generation nicht nur das Recht, auch die Aufgabe zufällt, wachsam zu sein. Wenn man die Erklärungen des Filmhistorikers Rainer Rother liest, wie es zum Fall Riefenstahl kam, dann ist das Wegsehen – unser Wegsehen – nicht von ihr zu trennen. Wie Leni Riefenstahl über ihre Person hinaus, als Mittäterin der Nazis, auch ein Teil der Deutschen bleibt, für die der Autor sich mitverantwortlich fühlt, geht aus seiner schreiberischen Unsicherheit hervor, mit der er dem Vorwurf zu entkommen versucht, auch dem um sich greifenden Kult zu frönen. Dann stellt er den Historiker vor den Kinoanalytiker.

Kinowirklichkeit

Interpretationen und Erkenntnisse, die zum Teil erst jetzt möglich sind, haben das Buch, wie es sich versteht, hervorgerufen. Möglicherweise lässt sich jetzt erst ermessen, was Riefenstahls Leistung war – neben dem, was ihr vorzuwerfen ist. Walter Benjamins und Siegfried Kracauers Sichtweisen waren hilfreich. Sie sind nicht unabänderlich; sie sind eine mögliche Facette. Sie hastig über Riefenstahls Nuba-Bilder und ihre Unterwasser-Fotografie zu stülpen ist unzulässig und unpassend. Was lange als Ästhetisierung der Politik kritisiert wurde, die Vermischung von Dokumentarischem und Fiktion, stellt sich heute als immer schon zum Kino gehörig dar. Die neuen Medien haben diesen Teil seines Bildcharakters gefährlich weiterentwickelt. Wie Kinoeigenart sich in der Aktualität anders darstellt, kann man am Beispiel des Riefenstahl-Films „Das blaue Licht“ verstehen. 1933, in ihrem Buch „Kampf in Schnee und Eis“, beschreibt sie noch liebevoll und bescheiden als Kollektivunternehmen, was bei der Wiederaufführung 1938 ein reiner Autorenfilm ist. Die Juden Béla Balázs, Carl Mayer und Harry Sokal, der als Produzent den Film ermöglichte, haben Deutschland verlassen müssen. Der widerliche Brief auf Kaiserhof-Papier, in dem sie Julius Streicher „in Sachen der Forderung des Juden Béla Balázs an mich“ Vollmacht erteilt, existiert.

Hervorgegangen aus der Freiburger Schule von Arnold Fancks Bergfilm, in der von Sepp Allgeier und Hans Schneeberger entwickelten Kameratechnik, kam der neusachliche deutsche Kinostil, der gleichermaßen Bergwelt, deren natürliches Schwarzweiß und körperliche Geschicklichkeit verband mit großstädtischen Technikmöglichkeiten und der aus seiner Nähe zur Werbung nie ein Hehl machte. Dafür bekam „Triumph des Willens“ auf der Pariser Weltausstellung 1937 eine Goldmedaille.

Nachdem Leni Riefenstahl gegen den Widerstand des Vaters und mit heimlicher Unterstützung der Mutter ihre Tanzausbildung durchgesetzt hatte, machte ein Unfall dieser Karriere ein Ende. Sie lernte Skilaufen, schauspielerte in den Filmen von Arnold Fanck und interessierte sich fürs Filmemachen. In ihrem Buch von 1933 heißt es: „Merkwürdigerweise ist es nicht allein die schauspielerische Gestaltung, die mich fesselt, sondern noch etwas anderes. Ich habe die Kamera studiert, die Objektive, ich kenne das Bildmaterial und die Filter. Ich habe Filme geschnitten und ahne, wie sich neue Wirkungen erreichen lassen ... Ich möchte selber Bilder formen.“

Das neusachliche Filmen ist eine Weiterentwicklung der sowjetischen Montagetechnik, die der Einfachheit halber mit dem Namen Eisenstein verbunden wird, aber eigentlich eher, wie Rother spitzfingerig sagt, beim Avantgarde-Idol Dsiga Wertow zu suchen ist. Leni Riefenstahl sah ihre Chance, als Hitler ihr, gegen Widerstände in der Partei, einem traditionell frauenfeindlichen Verband, sagt Albert Speer in seinen Erinnerungen, die Herstellung der Parteitagsfilme übertrug, die künstlerische Oberleitung.

In neuem Licht

Leni Riefenstahl schuf eine neue Filmgattung, heißt es im Deutschen Film, der offiziellen Filmzeitschrift, die von 1936 bis 1943 erschien: den heroischen Reportagefilm, „in dem sie den Rhythmus des realen Geschehens in einen filmischen Rhythmus übersetzte, das politische Erlebnis in die Form eines künstlerischen Erlebnisses“. Diese Vermischung ist ihr vorgehalten worden, umso mehr, als sie im landläufigen Sinn keine Nationalsozialistin war. Sie hat ein Genre geschaffen, ohne wirklich impliziert gewesen zu sein. Aus Ehrgeiz, aus Eitelkeit. Aus Ichbezogenheit?

Als Künstlerin! Das war in den vielen Prozessen, die sie nach dem Kriege wegen Rufschädigung anstrengte, ihre Ausrede, durch die sie gewinnen konnte. Ob sie ein Genie war oder nur Talent hatte, ob sie naiv oder gerissen war, ist eine müßige Frage, wenn der, der sie stellt, sich bewusst ist, dass er zu denjenigen gehört, die Definitionen erlassen. Die Rechtsfinder mussten sie gehen lassen, weil sie ihr eigenes System nicht gefährden konnten, das dem bürgerlichen Genie- und Künstlerbegriff politische Fehlentscheidungen konzediert. Vor ihren Richtern brachte es sie in Harnisch, dass man sie zum Sündenbock machte für etwas, das man Ruttmann oder Basse und Cürlis durchgehen ließ. Dass ihre Propagandafilme die neue Form des Absoluten Films seien, stammt nicht von ihr. Denunziation und Flucht nach vorn ist keine spezifisch weibliche Taktik. Walter Ruttmann, das weiß man heute, hat sie genauso geübt wie Ernst Jäger, der zeitweilige Chefredakteur des Film-Kurier, der sich prostituierte, um seine jüdische Frau zu retten.

Alice Schwarzer hat mit ihrem Interview Leni Riefenstahl und Emma einen schlechten Dienst erwiesen, als sie weitgehend uninformiert in das „Haus unter den Eichen“ in der Gotenstraße in Pöcking fuhr – im Glauben, ihre gute Absicht würde sich von selbst darstellen. Zudem: Leni Riefenstahl, der Fall, ist einer von Frauen und Männern. Sie hat die Parteitagsfilme gemacht, weil sie da eine Chance sah, in einer Männerwelt, dem Filmgeschäft, ein Bein auf den Boden zu bekommen. Sie hat Hitler zum Helden gemacht, wie er sie brauchte, um sich als Chef seiner Partei und als Oberhaupt der Deutschen ein Monument zu setzen. Er machte sie zur Autorin.

Geänderte Zeiten

Wir leben in leichteren Zeiten. Weil er das weiß, ist Rother in seinen Erklärungen und Beschreibungen selten überheblich. Nur macht es die Saloppheit, die zeitgemäß ist, beim Schreiben nicht besser, wenn man sie erwähnt oder Anführungszeichen als Pinzetten gebraucht. Bisweilen hat man den Eindruck, Rothers Hinweise auf Riefenstahls Stilisierungen sollten ihm Nachlässigkeiten beim Schreiben erlauben. Das ist weniger anrüchig. Verständlich verwirrend ist es, wenn ein Buch, in dem es unter anderem um Leni Riefenstahls Unbelehrbarkeit geht, abgeschlossen ist – und da kommt von der fast Hundertjährigen ein Schuldgeständnis: „Wir haben ein fürchterliches Erbe hinterlassen. Ich habe etwas abzutragen. Da bleibt Schuld, so kann man es nennen.“ Aber es ist ungeschickt, das fast am Ende des Buches nur in einer Fußnote zu erwähnen. Wenn Rother die Mitschuld der Deutschen ernst nimmt, dann müsste das Bekenntnis an anderer Stelle stehen. Leni Riefenstahl kann ihre Schuld auch endlich zugeben, weil sie nicht mehr mit juristischen Kategorien angegriffen wird.

Aber selbst die Unebenheiten des Buches werden dem Leser zur Qualität, indem sie seine Aufmerksamkeit stärken und ihm die Probleme der Zeit damals mit den heutigen vor Augen führen.

Rainer Rother: „Leni Riefenstahl. Die Verführung des Talents“. Henschel Verlag, Berlin 2000, 240 S., 39,90 DM