Mogelmathe und Taschenrechner

Bei der ersten Debatte der US-Präsidentschaftskandidaten formulierten Al Gore und George W. Bush klar unterschiedliche Positionen. Mit den Zahlenbeispielen des kenntnisreichen Vizepräsidenten kam der texanische Gouverneur nicht mit

aus Washington PETER TAUTFEST

70 Millionen Zuschauer sahen am Dienstagabend die erste Debatte der diesjährigen Präsidentschaftskandidaten Al Gore und George W. Bush. Anderthalb Stunden lang standen sie sich in einer Turnhalle der University of Boston gegenüber und antworteten auf Fragen des Moderators Jim Lehrer von PBS, dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen der USA. Die Themen reichten von der Amtstauglichkeit der Kandidaten über deren Reformpläne bis zu Fragen der Abtreibung und der Bildungspolitik. Außenpolitik wurde ein einziges Mal in der Frage nach dem Umgang mit Milošević angeprochen.

Die Kandidaten müssen vom gleichen Herrenausstatter eingekleidet worden sein – schwarzgrauer Anzug, rote Krawatte –, doch abgesehen davon vertraten sie gründlich voneinander abweichende Positionen. Im Zentrum der Debatte stand der Umgang mit den erwarteten 25 Billionen Dollar Haushaltsüberschüssen, die für die nächsten zehn Jahre vorausgesagt werden. Bush möchte einen großen Teil davon als Steuersenkungen an die Bürger zurückgeben, Gore möchte ihn verwenden, um jene US-Amerikaner an der Prosperität zu beteiligen, die vom Boom bislang wenig abbekommen haben.„Ihr Steuerplan gibt mehr Geld für das reichste ein Prozent der Bevölkerung aus als alle Ihre anderen Reformen – Krankenkassen- und Rentenreform, Erziehungsbeihilfe und Militärausgaben – zusammengenommen,“ griff Gore Bush an. Diese Rechnung wiederholte er ein halbes Dutzend Mal. „Ihr Haushalt ist dreimal so groß wie der, den Bill Clinton während des Wahlkampfs 1992 vorstellte“, schoss Bush zurück und warf Gore vor, 20.000 Bürokraten mehr beschäftigen zu wollen.

Mit Zahlen freilich kannte sich Gore besser aus – er warf mit Beispielen nur so um sich. „Das ist Washingtoner Mogelmathe,“ klagte Bush mehrfach und mokierte sich über Gore, der mal für sich in Anspruch genommen hatte, das Internet erfunden zu haben: „Ich glaube, der hat nicht nur das Internet, sondern auch den Taschenrechner erfunden.“

Gore trat als harter Angreifer auf, der sich wie kein zweiter in den Details auskennt, Bush präsentierte sich von der eher volkstümlichen Seite und mied Details, von denen er weiß, dass sie ihm oft zum Verhängnis werden.

Mit der Wahrheit nahmen es beide Seiten nicht immer so genau. Gores Behauptung, Bushs Plan, Arzneimittel in die Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse aufzunehmen, würde 90 Prozent der Bedürftigen in den ersten fünf Jahren nicht erreichen, stammt aus einem Gutachten, das ein Mitarbeiter des Weißen Hauses erstellt hatte. Bushs Behauptung, Gores Haushalt stelle alles bisher Dagewesene in den Schatten, verschwieg, dass sein eigener Haushalt noch größer ist, wenn man die Steuersenkungen als Ausgaben rechnet.

Anders als in früheren Wahlkämpfen geht es diesmal um echte Alternativen. Beide Kandidaten beziehen zu den anstehenden Reformen der Renten- und Krankenversicherung, zu Fragen von Schulreform und nationaler Bildungspolitik, Armutsbekämpfung und Steuerpolitik, gründlich andere Positionen. Die Unterscheide aber stecken derart tief in den Details, dass die Debatte stellenweise zu einer Bürgerkunde geriet. Bush etwa will die Rente teilprivatisieren und Lohnempfängern die Möglichkeit geben, 2 Prozent ihrer Sozialabgaben selber zu investieren. Gore will neben der gesetzlichen Rente einen steuerbegünstigten und staatlich subventionierten Sparplan schaffen, der die Rente ergänzen soll.

In einer ersten Blitzumfrage sahen 48 Prozent Gore und 41 Prozent Bush als Debattensieger. Alle Demoskopen sehen im diesjährigen Wahlkampf ein Kopf-an-Kopf-Rennen, und in solchen Situationen haben die Debatten erfahrungsgemäß eine wahlentscheidende Bedeutung. Zweimal noch stehen sich Bush und Gore in Fernsehdebatten direkt gegenüber – am 11. und 17. Oktober.