Apostel des Wettbewerbs

■ Fünfte Hamburg Lecture: Ex-Präsident des Bundeskartellamtes plädiert für Wettbewerbsregeln gegen die Konzern-Fusionitis

Multinationale Konzerne können eine Gefahr für das Funktionieren der Demokratie in einzelnen Staaten sein – allerdings nur, wenn kein Wettbewerb zwischen ihnen stattfindet – behauptet Dieter Wolf, bis Ende vergangenen Jahres Präsident des Bundeskartellamtes. Aufgrund der wachsenden Zahl weltweiter Mega-Fusionen plädierte er gestern im Vorfeld der 5. Hamburg Lecture dafür, überstaatliche Wettbewerbsregeln zu schaffen.

Senat, Universität und Zeit-Stiftung versuchen, mit den Hamburg Lectures die Uni stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rücken und gesellschaftliche Debatten anzuregen, die über das Tagesgeschäft hinaus reichen. Dem Vortrag eines Gastes folgt die Gegenrede eines Nachwuchswissenschaftlers, anschließend wird diskutiert.

Der Ex-Wettbewerbshüter Wolf hatte eine Reihe beeindruckender Zahlen aufgefahren, um ein Bild von der weltweiten Fusionitis zu zeichnen: 1999 summierten sich die Kaufpreise für die Übernahme von und Beteiligungen an Unternehmen weltweit auf 2,4 Billionen US-Dollar. 1993 lag die Summe noch bei 500 Millionen Dollar. Zum Vergleich: Deutschland, die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, hatte 1997 ein Bruttosozialprodukt von lediglich 2,3 Billionen Dollar. Zwar blieb der Anteil der grenzüberschreitenden Fusionen mit rund einem Viertel konstant, die Zahl der Mega-Fusionen wuchs jedoch. Der Anteil der neun größten Zusammenschlüsse am Fusionsvolumen stieg von acht Prozent im Jahre 1997 auf 23 Prozent 1998.

Um diese nicht ins Kraut schießen zu lassen, will Wolf internationale Wettbewerbsvereinbarungen etablieren und zwar zunächst unter den wichtigsten Industrieländern. Diese Regeln, so Wolfs Kalkül, würden sich automatisch ausbreiten und könnten irgendwann in eine globale Kartellbehörde münden.

Auf Deutschland bezogen lehnte Wolf Regulierungsbehörden für einzelne Wirtschaftsbereiche, etwa den Telekommunikationsmarkt, ab. Um eine „Zersplitterung des Kartellrechts“ zu verhindern, solle stattdessen das Bundeskartellamt gestärkt werden.

Die Koppelung des Gaspreises an den Heizölpreis hält Wolf für fragwürdig. Er regte an, Firmen, die sich an Kartellpreisen orientieren nach dem Muster von Mittätern zu belangen. Gernot Knödler