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: HELMUT HÖGE über Haupt- und Nebenstrecken

Der Zwang zur Deregionalisierung

So wie die Nebenstraßen in den Städten den Linken in die Hände fielen, werden die Nebenstrecken der Bahn auf dem Land von den Rechten beherrscht. Die Planungs-Hauptquartiere haben beide bereits aufgegeben.

Nach der Wende habe ich die Sputniks und Interregios - nach Wittenberge oder Bitterfeld oft benutzt. Aber jetzt - mit meiner deutsch-indischen Freundin - ist das nicht mehr ratsam. Wir mieten stattdessen einen Wagen, wenn wir aufs Land müssen, auch nach Westdeutschland, denn dort sieht es ähnlich aus: die Nebenstrecken sind fest in den Händen von Hooligans oder besoffenen Bundeswehr-Jungmännern.

Der Grund: die neue herrschende Klasse - der Manager - konzentriert sich auf die großen teuren Strecken des ICE, und gerne hätten all die superschnellen Entscheidungsträger auch noch ein europäisches Transrapid-Netz. Ihre forschen Kollegen aus der Straßenbau-Branche denken genauso - wie mir ein Planer im Deutschen Institut für Urbanistik verriet: „Die haben die Wohnquartierstraßen schon aufgegeben, die sind in die Hände der Feinde gefallen, meinen sie, und konzentrieren sich jetzt auf die großen Durchgangsstraßen und Autobahnen, die Schlagadern des Systems, die wollen sie um jeden Preis verteidigen und ausbauen“.

Der ADAC-Vorständler Dr.Waldau veröffentlichte seine diesbezüglichen Gedanken einmal sinnigerweise in der Zeitschrift „Berliner Bauwirtschaft“: „An Hauptverkehrsstraßen und Verkehrssammelstellen darf nicht herumgebaut werden, wenn es um Rückbaumaßnahmen geht“ (zugunsten von Fußgängern und Radfahrern). Sodann beklagte er den Hang zu „immer stärkerem Föderalismus“, was dazu geführt habe, daß „Verkehrpolitik kaum noch von einem zentralen Haus“, sondern immer mehr auch auf Bezirksebene, von nur so genannten „Verkehrspolitikern“ in den Bezirksverordnetenversammlungen „gestaltet wird“ - obwohl „wir, die Bevölkerung der Bundesrepublik uns doch entschieden haben, mit dem Auto zu leben“.

Neben dem ADAC gibt es noch den Auto-Interessensverband „Forschungsgesellschaft für das Straßenwesen“ - ein Verein von ca. 2300 Auto- und Straßenlobbyisten aus den Straßenbau-Ämtern, der Bau- und Automobilindustrie, den Öl-Gesellschaften etc.. Erster Vorsitzender wurde 1934 Dr.Todt, der Nazigeneralinspekteur für das Straßenwesen - mit dem der Autobahnbau begann. Todts Nachfolger wurde Albert Speer. Ziel des Vereins war und ist „die theoretische und praktische Förderung des Automobilstraßenbaus“ - zum Zwecke des Blitzkriegs, der seit 1945 vornehmlich wirtschaftlich definiert wird, was jedoch nichts an der alten „Artillerieperspektive der Straßenführungen“ geändert hat.

Seit 1947 gibt der Verein dazu „Richtlinien für den Ausbau von Straßen“ (RAS) heraus, die überall wo geplant wird, als quasi amtlich anerkannte Vorschriften gelten. Es gibt Richtlinien für die Querschnittsgestaltung: „RAS-Q“; für die Linienführung in bebauten Ortsteilen: „RAS-L“; für den Straßenoberbau: „RSTO“ usw. Um die linksökologische Kritik aufzufangen, gibt es seit Ende der Achtzigerjahre auch noch Richtlinien für die „Gestaltung“: „RAST-G“, obwohl die RAS-Experten argwöhnten, daß die Verkehrsberuhigung der grünen Planer nur eine „Mode“ sei. Aber im Schlußsatz machten sie aus dieser Not bereits eine neue Tugend: „Verkehrsberuhigung als Folge von Verkehrsverlagerungen auf neue Umgehungsstraßen und Stadttangenten ist eine vordringliche Aufgabe der Verkehrsplanung“. In anderen Worten: Konzentrieren wir uns auf die großen Schlagadern des Systems - und überlassen das kleinteilige Straßen-Hinterland den rotgrünen Autofeinden!

Seitdem wir gezwungenermaßen immer öfter auf Mietautos umsteigen müssen, wissen wir das fortdauernde RAS-Wirken sogar zu schätzen! Und die Mietautos sind für Journalisten inzwischen billiger als der ICE! Ende September ließ die Bahn AG verlauten, daß sie 16 Millionen Kilometer (sic!) Regionalstrecken an die Länder abgeben möchte - im Zuge der konsequenten Umsetzung ihres MORA-Konzepts: „Marktorientiertes Angebot“.