Immer nur Gardinen

Verwaltungsangestellter zahlte 245.000 Mark mehr Sozialhilfe aus, als er durfte. Dafür wurde er verurteilt

Er gehört zu der Sorte Typ, wie ihn sich Mütter als Schwiegersohn wünschen: Gut aussehend und gepflegt, zurückhaltend, freundlich und hilfsbereit. Auch bei seinen Kollegen im Bezirksamt Charlottenburg war der 38-jährige Ralf H. beliebt. Der Verwaltungsangestellte war für die Zuteilung von Sozialhilfe zuständig. Dass er eine Summe von 245.000 Mark veruntreut, hat ihm niemand zugetraut.

Gestern wurde Ralf H. vom Landgericht zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Es war ein kurzer Prozess, in dem viele Fragen offen blieben. Dem Gericht hatte das knappe Geständnis von Ralf H. genügt, dass er zwischen 1991 und 1996 insgesamt 160 Kassenanweisungen für Möbel, Bekleidung, Miete, Schul- und Sportsachen im Gesamtwert von 245.000 Mark ausgestellt hatte. Die Schecks trugen die Namen von zwei Sozialhilfeempfängern, die das Geld stets gleich bar an der Kasse abgeholt hatten.

Das Ganze ging jahrelang gut. Verdacht schöpfte eine Kollegin erst, als sie Ralf H. wiederholt mit einer ehemaligen Sozialhilfeempfängerin sah, die längst aus Charlottenburg weggezogen war. Eine Überprüfung der Akten ergab, dass Ralf H. ihr trotzdem weiter Sozialhilfe ausgezahlt hatte. Bei der anderen Person, die bei Ralf H. mindestens zweimal im Monat Schecks für Gardinen, Geschirr und Bettwäsche abholte, handelte sich um einen ehemaligen Straftäter. Die Vermutung liegt nahe, dass Ralf H. mit den von ihm Begünstigten halbe-halbe gemacht hat. Zu beweisen ist ihm dies jedoch nicht. Die Ermittlungen sind im Sande verlaufen.

Im Prozess versuchte Ralf H. gestern Glauben zu machen, dass er keinen persönlichen Vorteil aus dem Fall gezogen habe. Als Erklärung, warum er ein und derselben Person dreifach und vierfach Gardinen bewilligte, führte er „eine gewisse Arbeitsüberlastung“ an. Schließlich sei er für 120 bis 140 Sozialhilfeempfänger zuständig gewesen und habe bisweilen 40 bis 50 Kassenanweisungen am Tag ausgestellt. „Irgendwann nimmt man sich nicht mehr die Zeit, alles sorgfältig zu prüfen.“

Dass der Schwindel nicht eher aufgefallen ist, stieß bei den Richtern auf große Verwunderung: „Gibt es im Amt denn keine Mechanismen der Überprüfung“? Nein, es gebe nur Stichproben, so die Antwort. Schecks über 2.000 Mark gehen über den Tisch des Vorgesetzten. Doch diesen Betrag vermied Ralf H.

In der Urteilsbegründung wertete das Gericht als strafmildernd, dass die Taten dem Angeklagten „aufgrund der Struktur im Sozialamt recht leicht“ gemacht worden seien. Außerdem sei er durch die Rückzahlung der Schadenssumme an das Land Berlin schon hart bestraft. Ralf H. ist inzwischen in einer Werbeagentur tätig, der größte Teil seines Einkommens wird jedoch gepfändet. PLUTIONIA PLARRE