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: Stadionarchitektur: Nero und die Amsterdam-Arena

Parabolische UFOs der Moderne

Während die Gladiatoren in ihren Umkleiden warten, ist Kaiser Nero auf dem Weg zur Loge. Rechts und links von ihm sammeln sich die Würdenträger in ihren VIP-Logen; in den unteren Reihen nehmen die Priviligierten Platz, das gemeine Volk sitzt hoch oben in ihrem Rücken. Das Kolosseum ist nicht so gut gefüllt wie vergangene Woche, als 50.000 begeisterte Zuschauer einer spektakulären Seeschlacht beiwohnten und für dieses Event die ovale Arena unter Wasser gesetzt worden war.

Das Kolosseum, Mutter aller Stadien, Ausdruck römischer Baukunst und symbolischer Machtrepräsentation, steht am Anfang einer Architekturgeschichte der Sportstadien. Historische Brüche, Verschiebungen und Neuerungen – immer im Blick: das 20. Jahrhundert als Zeitalter des Massensports – versucht nun die Publikation The Stadium. The Architecture of Mass Sports nachzuzeichnen. Auf Fotostrecken, von Grundrissen und einführenden Texten gerahmt, werden bedeutende neue und alte Sportstätten vorgestellt. Collagehaft verwebt mit Essays, die etwa die symbolische Rolle des Stadions als Ort der Masse, Macht und der Ideologie analysieren, soll ein kulturgeschichtlicher Kontext hergestellt werden. Während der schwermütige Fußballfan sich auf eine melancholische Bilderreise durch die Geschichte der großen Stadien begibt und seiner untergegangenen Fußballkultur nachtrauert, wird der nüchterne Leser Zeuge einer historischen Transformation. Gerade die zahlreichen Interviews mit internationalen Architekten geben hierzu reichlich Auskunft.

Wir befinden uns, je nach Land und sportlicher Kultur, in unterschiedlichen Phasen einer Umwandlung der Stadionkultur. Fest steht, dass der Begriff des Stadions, vor allem für die Europäer, umdefiniert werden muss. Beispielsweise kann, 1., in einem Stadion Sport stattfinden, zur Auslastung und finanziellen Rentabilität sind jedoch Messen, Konzerte oder Massenhochzeiten von gleicher Wichtigkeit. Ist, 2., das Stadion der Zukunft eine Stadt in der Stadt; Einkaufsmöglichkeiten, Restaurants, Verwaltungen, Schwimmbäder oder Hotels integrieren das Spiel in ein Vielfaches an (kontrolliert) Möglichem. Lassen, 3., sitzende Menschen, ein- und ausfahrbare Dächer, verwandelbare Bodenflächen den Unterschied zwischen (Fußball-)Stadion und Sporthalle obsolet werden. Konkurrieren, 4., moderne Stadien mit Museen als Prestigeobjekte einer Stadt, stehen sie mehr und mehr als Zeichen für die Zeichen einer Stadt. Und, 5., spielen Stadien speziell in Nordamerika eine bedeutende Rolle bei der Wiederbelebung von Stadtzentren. Nach einer Phase der Auslagerung in die Vororte hat dort eine Umkehrbewegung eingesetzt.

Nicht Regenmacher, sondern Regenverhinderer ist der Architekt, er hat diese Vorgaben umzusetzen. Bewegliche Tribünen und Dächer sind zu entwickeln, Sound- und Lichteffekte zu optimieren, Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die Shoppingmall-Infrastruktur ist einzuplanen; mediale Bedürfnisse, sowohl für die Zuschauer im Stadion als auch zu Hause wollen befriedigt werden; ist die Halle in eine Stadt zu integrieren, müssen Verkehrssituation und architektonische Umgebung berücksichtigt werden.

Die heutige Zeit hat einen weiteren architektonischen Ausdruck gefunden. Was sich in Europa erst langsam durchsetzt (siehe Amsterdam-Arena), ist in Japan und Nordamerika schon längst etabliert. Aus Teflon, Fiberglas oder PVC entstehen parabolische UFOs, die ihre quasi-religiöse Funktion nicht hinter altmodischen Bezeichnungen verbergen, sondern blasphemisch als dome, Kathedrale, Dom, wenn nicht sogar, esoterisch getoppt, als Astro-, Super- oder Skydome auflaufen. Exemplarisch sei auf den japanischen Kitakyushu Media Dome hingewiesen, ein Tempel inmitten einer Stadt, die mitten im Wandel von einer Industriestadt zu einem internationalen Zentrum für Informationswissenschaft ist.

Der Media Dome spielt eine wichtige Rolle in diesem Prozess. Sumo-Ringen oder Radrennen werden den Zuschauern zusätzlich in aller Detailtreue auf einem 24 Meter breiten Fernsehmonitor serviert, ansonsten steht den Leuten diverse Multimedia-Unterhaltung zur Verfügung – wie die Multi Vision Hall, die Media Loop und Alice Lab, ein virtuelles Alice im Wunderland. Überflüssig zu sagen, für wen diese öffentlichen Räume errichtet worden sind und für wen nicht. Lieber sollte man sich fragen, warum das Olympiastadion in Berlin, dieses stramme Mauerwerk deutscher Architektur und Symbolik, für teures Geld notdürftig saniert wird. Hätte man doch am Potsdamer Platz mit dem Sony-Superdome neue Gottheiten einfordern und wahre internationale Zeichen setzen können. HENNING HARNISCH

Michelle Provoost (Hg.): „The Stadium. The Architecture of Mass Sports“. Netherlands Architecture Institute 2000; 184 Seiten, 79 DM