Zauberpilzbowle um Mitternacht

Goa ist überall, auch in Brandenburg: Goa-Partys klingen nach Trance-Techno, riechen nach Hermann Hesse und ziehen Althippies wie junge Dörfler an

von DETLEF KUHLBRODT

Goa ist weit weg. Goa ist seit den Siebzigerjahren das Wunderland der unermüdlicher Drogenbenutzer aus dem Westen gewesen, und die Verpeiltesten unter ihnen kamen natürlich aus Deutschland: Leute, die ununterbrochen Hasch geraucht und Trips geschmissen haben und andere Dinge auch, und die alle schon ziemlich wirr im Kopf gewesen sind, hatte Bommi Baumann, der ehemalige Haschrebell, mal erzählt. Eine seriöse Kollegin, die sich gern beschwert, dass zu wenig Positives über Drogen geschrieben werde (was sie aber auch nicht macht), war auch mal da.

Goa ist auch ziemlich nah. Goa, das sind die Guten, sagte der Kollege Musikredakteur, für den die Love Parade das Böse repräsentiert. Goa ist dann eher die Hanfparade. Für die, die mal auf Goapartys waren, ist der Name nicht ganz klar: Der wird eher in Anführungszeichen verwendet, zuweilen wird auch das Wort Trance angehängt. Goa ist eher schlecht beleumdet und steht für mehr oder minder verkitschte Musik oder für einen extrem LSD-lastigen Sound, den man, wenn man ihn zum ersten Mal hört, ziemlich toll, optimistisch und ekstatisch findet. Nach einer Weile allerdings werden einem diese emporsteigenden netten Schleifen dann doch manchmal langweilig.

In Göttingen und Hamburg sei die „Goa“-Szene stark vertreten, sagte ein Freund, und „eine Goaparty ohne LSD ist wie ein Oktoberfest ohne Weißbier“, hat Hans Cousto, der enthusiastische Schweizer Raver, Autor und esoterisch angehauchter Mitbegründer von „Eve & Rave“, einmal geschrieben. Es gebe tatsächlich auch richtig gute Goa-Musik, sagte mir neulich Friedhelm Böpple, Autor eines Technobuchs und Mitbetreiber der Kreuzberger Galerie „Transition“.

Techno ist drinnen, Goa/Trance findet dagegen meist draußen statt, riecht nach Räucherstäbchen. Das Ambiente ist mehr oder weniger bunt mit allerlei Lichthokuspokus. Wer grad auf LSD ist und einen guten Trip hat, findet die Dinge sehr erhaben. Nüchtern wirkt die goamäßige Landschaftsgestaltung mit Feuer spuckenden Schrottmetalldrachen zum Beispiel oder Leuten sogar, die auf Stelzen durch die Gegend wandern oder Fantasymasken aufgesetzt haben, eher kitschig und riecht nach Hermann Hesse, Herr der Ringe und dergleichen.

Wie ein Pfadfinderlager mit Nassspritzen

Die Goaparty, wie ich sie mal nenne, weil es keine anderen Begriffe gibt, lässt sich am besten formal beschreiben: eine drogenlastige Party mit elektronischer Musik, die zwecks besserer Tarnung zuweilen auch als Nudistencamp angekündigt wird. Für manche Partys wird Werbung gemacht, für die meisten nicht oder nur im Kreis der Eingeweihten. Die Goafreunde sind in irgendwelchen Mailinglisten drin und bekommen so Ort und Zeit zugemailt. Für manche Partys gibt es nur Hotlines: „Da erfahrt ihr Näheres“.

Immer verfährt man sich. Zu größeren Partys kommen ein paar tausend, zu kleineren weniger als hundert. Bei irgendeiner Vollmondsommerabschlussparty gab’s auch mal mitternachts nach Gongschlag Zauberpilzbowle für jeden gegen Eintrittskarte, allerdings doch recht schwach dosiert, denn man ist ja auch verantwortungsvoll. Am Ende laufen die Leute, denen man noch die Anstrengung des Feierns ansieht, übers Gelände und sammeln den Müll auf.

Die Partys finden überall statt: in Indien, Japan und in Thailand sogar schon seit 15 Jahren, und in Südafrika soll es zur Jahrtausendwende auch so einige gegeben haben. Schwarze Südafrikaner seien allerdings nicht dabei gewesen, erzählte ein Freund und begeisterter „Trancepacker“. Die Partys dauern meist länger als nur einen Tag, und wenn sie offiziell nur einen Tag lang gehen, dann ist die Afterhour am nächsten Tag, wo es keine Unterschiede mehr gibt zwischen DJs, Veranstaltern und Publikum, gewöhnlich am schönsten.

Goapartys erinnern an Pfadfinderlager mit Sonnenschein, Frisbeespielen und Nassspritzen. Die Differenz zwischen Bühne – wenn es überhaupt eine gibt – und Tanzfläche wird möglichst gering gehalten. Die Leute sehen bunt aus, kiffen ständig und sind bemüht um Familienwerte. Sie sind äußerst freundlich und durchschnittlich etwas älter als bei Technopartys. Immer sind auch Althippies dabei und ein paar Ekstatiker um die fünfzig. Und junge Typen mit komischen Teppichhosen. Batikhemden gibt’s auch zuhauf, und manche Mädchen kleiden sich und tanzen auch so ein wenig prinzessinnenhaft. Viele kommen in bunten Bussen. Einerseits ist das alles denkbar uncool, andererseits sehen die Leute meist sehr gut aus.

Bullen gibt es natürlich auch. Die führen mittlerweile vor und nach der Party ausgiebigste Verkehrskontrollen durch, wie man hört, und mischen sich teilweise auch unters Volk. Deshalb verhängen viele ihre Nummernschilder auf dem Gelände, um auf dem Rückweg nicht gleich herausgewunken zu werden. In der Mitte der Tanzfläche stehen Wasserflaschen. Oder jemand hat eine Wasserflasche beim Tanzen in der Hand und gibt sie lächelnd weiter. Manchmal tanzen manche Leute auch nackt. Das sieht ja auch schön aus, und am Rande stehen Leute und verkaufen bunte Lachgasballons für fünf Mark. Lachgaskonsumenten sehen ein bisschen albern aus, und der Rausch dauert kaum drei Minuten.

Bei größeren „Goapartys“ gilt Samstagnacht als der Höhepunkt für die vielen. Dann schaut die betrunkene Dorfjugend auch gern mal in Gruppen vorbei. Ihre Welt ist offensichtlich ganz anders als die der bunten Goamenschen. Manchmal denkt man, dass sie diese bunten Leute für Eindringlinge halten, oder plötzlich sind da ein paar Glatzen und man hat Angst, dass gleich eine Schlägerei hier losgeht, die für die Dörfler nicht gut ausgehen würde, denn komischerweise gibt es unter den Goaleuten immer auch ein paar ganz unglaubliche Kraftpakete. Ein aufdringlicher Dörfler lallte einmal jede Frau an, die in der Nähe war, und kam dann zu uns. Er hätte schon dreißig Bier getrunken, sagte er und erzählte belustigt, dass neulich ein paar Bremer im Nachbardorf verprügelt wurden, als sie ohne ihn in eine hiesige Kneipe gegangen waren. Wir seien aber seine Kumpels, und deshalb sollten wir unbedingt zum Scheunenfest nächste Woche mit ihm kommen. Er hieß irgendwas mit -i am Ende. Dann haben wir das leider doch nicht gemacht.

Gegen zwei geht’s nach oft endlosen Intros richtig los, und so um fünf ist man meist wieder unter sich. Die Drogen halten ordentlich wach, manche schlafen auch zuvor, und irgendwann kramt ein jeder seine Sonnenbrille hervor. Bei größeren Raves stehen am Rande oft Drogenindianerzelte mit Ofen drin und Teppichen auf dem Boden. Da liegen die Leute rum, trinken Tee, schweigen mehr als sie reden und rauchen wahnsinnig viel Hasch, um von anderem wieder runterzukommen. Und Judith, die ich mal auf E kennen gelernt hatte, sagte: „Du weißt doch, ich rauche kein Haschisch“, als ich ihr den Joint weitergab.

Im Morgenlicht schwanken die Drogenleichen. Es ist immer wieder überraschend, wie fertig Leute aussehen können. Da mag man dann gar nicht mehr hingucken. Einer zeigte immer das gleiche grimassenhafte, wie in Holz geschnitzte Grinsen, als er tanzte. Eine Freundin meinte, sie kenne ihn und man staune, wenn der rede, denn der sei eigentlich sehr intelligent. Die Gesichter der traurigsten Gestalten erinnern an Trockenobst. Ein völlig dichter Typ, der so aussah wie der erste Drogentote meiner Heimatstadt, grinste immer so leicht entschuldigend. Er hatte ein Goahemd an, auf dem stand: „doof“, und man dachte bei sich, dass er damit ironisch sein eigenes Grinsen und ein paar Jahre Grinsedrogen kommentieren wollte.

Schwarzlicht macht die Spermien kaputt

Es ist immer wieder überraschend, wie schnell sich die Leute von ihren Exzessen zu erholen scheinen. Später am Vormittag jedenfalls sehen die meisten wieder prima aus, die Stimmung wird immer besser, und am Tresen der Milchbar ist man am Nachmittag unglaublich ausgelassen. Und Per, der mal aus Rostock kam und später noch auflegen will, sagt „Warmduscher“, wenn einer einen „Milkshake ohne“ haben will. André schaukelt in der Hollywoodschaukel und ist grad nicht so ansprechbar, weil er am frühen Morgen in seinem Milchkaffee erst einmal Liquids genommen hatte. Das sei sehr interessant und er überlege sich, zur See zu fahren, sagte er. Inzwischen ist er in Mexiko.

Letztes Jahr, im Zug nach Hamburg, traf ich Sven Dohse. Sven Dohse ist natürlich auch kein Goa-DJ, hatte aber immer bei diesen alternativ angehauchten Partys so superangenehm aufgelegt, und alle liebten ihn dafür. Er wirkte ein bisschen übernächtigt und erzählte von Frauen, die früher unglaublich gut ausgesehen hätten – jung, frisch, lustig spontan –, und nun seien sie durch, die Haut schlecht und nur noch ein immergleicher Gesichtsausdruck ist übrig geblieben.

Er klagte ein bisschen, dass diese Trance-Techno-Szene viel zu hetero-, zuweilen asexuell sei; dass es da kaum Schwule gäbe, obgleich viele der DJs schwul seien wie Gianni. Das vorherrschende Schwarzlicht sei auch völlig scheiße und wirke sozusagen antilibidinös. Anstatt die Libido anzuheizen, wirke es desexualisierend und mache auch die Spermien kaputt. Das Sperma würde dann so körnig werden. Rotlicht muss her! Denn Rotlicht befördert den erotischen Kontakt zwischen den Menschen.

Sven Dohse erzählt von Auftritten: Damals, in einer slowenischen Diskothek in Isola, das sei die beste Diskothek gewesen, die er je gesehen habe. „Wir dachten, wir seien hart, doch die waren noch viel härter.“ Oder neulich in Sankt Petersburg im 26. Stockwerk: Da habe er einen Leibwächter mitgehabt. „Da macht man Partys entweder mit der Mafia oder mit dem Polizeipräsidum. Wir hatten unsere mit dem Polizeipräsidium gemacht.“ Die Leute seien unglaublich breit gewesen.