Neue Mitte auf Brasilianisch

Präsident Fernando Henrique Cardoso will Brasilien als Gegenspieler zu den USA positionieren

Heute wird Brasiliens Präsident, der sich zu einem mehrtägigen Staatsbesuch in Deutschland aufhält, auch von Bundespräsident Rau empfangen. Selbst als Staatsmann hat Cardoso seine besondere Liebe zur Außenpolitik nicht aufgegeben. Die Integration des lateinamerikanischen Subkontinents liegt ihm dabei besonders am Herzen. So versammelte er vor einem Monat erstmals alle südamerikanischen Präsidenten in Brasília.

Diskret, aber bestimmt hat er in den letzten Monaten mehrfach Position gegen die USA bezogen: Nicht nur dem venezolanischen Populisten Hugo Chávez stärkte er den Rücken, sondern auch dem Peruaner Alberto Fujimori, den er nach dem letzten Wahlbetrug vor Sanktionen bewahrte. Die US-Militärhilfe an Kolumbien sieht er ebenso skeptisch wie die Dollarisierung der ecuadorianischen Wirtschaft. Auch in den bilateralen Gesprächen mit Washington ist Cardoso, der als Musterschüler des IWF gilt, selbstbewusst aufgetreten. Der Freihandelszone von Alaska bis zum Feuerland will das Land erst beitreten, wenn die USA ihre protektionistischen Handelshemmnisse abgebaut haben.

Vor allem im Ausland geriert sich der elffache Ehrendoktor, dessen Mitte-rechts-Regierung einen strikt neoliberalen Konsolidierungskurs fährt, gerne als Sozialdemokrat. Als einziger Staatsmann des Südens war er auf beiden Treffen über „Modernes Regieren“ in Florenz und Berlin geladen. Im Kreise von Blair, Clinton und Schröder plädierte er eloquent für eine „solidarische Globalisierung“, konkret: Die Kapitalflüsse müssten kontrolliert, die Märkte des Nordens für die Exporte der Entwicklungsländer weiter geöffnet werden.

Die Integrationsbemühungen im gemeinsamen Interesse der südamerikanischen Länder seien allerdings glaubwürdiger, schrieb kürzlich das Magazin Istoé, wenn Cardosos Wirtschaftspolitik „kohärenter mit dem Willen nach Autonomie“ sei, von dem er gerne redet.

Die Präsidentschaftswahlen 1994 und 1998 gewann er gegen „Lula“, den Kandidaten der Linken, weil er die chronische Inflation in den Griff bekommen hatte. Auf die versprochene soziale Abfederung seiner Sparpolitik warten die BrasilianerInnen allerdings bis heute. Cardosos Regierungskoalition schließt die korruptesten und reaktionärsten Kreise des Landes ein; gegenüber Gewerkschaften, Landlosen und IndianerInnen betreibt er eine Hinhaltetaktik. Noch gilt: Was der Dependenztheoretiker einst scharfsinnig analysiert hat, spielt der Präsident jetzt in der Praxis durch – als „Brückenkopf“ internationaler Kapitalinteressen. GERHARD DILGER