Sachlichkeit statt Populismus

Die Dänen haben gegen den Euro gestimmt. Trotzdem zeigt das Referendum: Direkte Demokratie verhindert parteipolitische Spielchen. Eine Lektion für Deutschland

300 Millionen Europäer werden im Jahr 2002 die endgültige Abschaffung ihrer nationalen Währungen erleben. Keinem von ihnen ist zuvor die Frage gestellt worden, ob sie den Euro wollen oder nicht. Und nun haben die gerade einmal vier Millionen, die als Erste eine Antwort geben durften, prompt zu 53,1 Prozent Nein gesagt. Dänemark erteilt Europa einmal mehr eine Lektion in direkter Demokratie, was hier zu Lande der Forderung nach EU-Volksabstimmungen erneut Nachdruck verleihen sollte.

Ein dänisches Ja zum Euro wäre vermutlich als Sieg ökonomischer Vernunft und als integrationspolitisches Signal von gesamteuropäischer Ausstrahlung gewertet worden. So aber wird die politische Bedeutung des Volksentscheids klein- und die Gefühlswelt der Dänen großgeredet. Wenn eine Volksmehrheit nicht bereit ist, der angeblich wohl begründeten Empfehlung einer überwältigenden Allianz aus Regierungs- und Oppositionsparteien, Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften, Presse und Fernsehen zu folgen, kommen als Gründe offenbar nur irrationale Identitätsängste und populistische Verführung in Frage. Zum Beleg verweisen besonders deutsche Medien auf die Dänische Volkspartei Pia Kærsgaards, der als skandinavische Ausgabe von Jörg Haiders FPÖ die Schlüsselrolle für das Anti-Euro-Votum zugesprochen wird.

Angesichts eines vermeintlich von Emotionen und Fremdenfeindlichkeit getragenen Neins zum Euro sehen sich in Deutschland jene bestätigt, die Volksabstimmungen für ein untaugliches Instrument der Europapolitik halten. Dieser Schluss jedoch ist falsch, weil der Befund nicht stimmt. Das dänische Nein zum Euro beruht weder auf mangelndem Sachverstand, noch ist es das Ergebnis einer populistisch aufgeheizten Volksseele. Im Gegenteil belegt das Beispiel Dänemarks, dass Volksabstimmungen verhindern können, was in Deutschlands repräsentativer Demokratie durchaus zu beobachten ist: populistische Machtspiele auf Kosten Europas.

Dänemark hat eine sachliche Debatte über die Vor- und Nachteile des Euro geführt. Das zentrale Argument der Euro-Gegner war die Warnung vor der politischen Dynamik, die eine Mitgliedschaft in Euroland entwickeln würde. Dahinter steht die plausible Annahme, dass mit der Einführung einer gemeinsamen Währung auch die politische Zusammenarbeit nachhaltig vertieft werden soll, ja sogar muss, um den Euro nicht scheitern zu lassen. Geld macht Staat. Dieser Zusammenhang gilt überall in Europa als selbstverständlich. Wie konkret bereits über die Staatswerdung Europas nachgedacht wird, zeigt nicht zuletzt die Diskussion über Joschka Fischers Plädoyer für eine europäische Föderation. Wer sich jedoch erst gar nicht zum Nachdenken über die „Vereinigten Staaten von Europa“ zwingen lassen möchte, der muss konsequenterweise auch die Währungsunion ablehnen. Nichts anderes hat die Mehrheit der Dänen getan. Josef Joffe hat im Tagesspiegel angeregt, Joschka Fischer möge Dänisch lernen, um unseren mutmaßlich verstockten Nachbarn die Vision einer staatlichen Föderation Europas endlich begreiflich zu machen. Unnötig: Die Dänen haben den Euro verworfen, weil sie Fischer bereits im Original richtig verstanden haben.

Man mag bedauern, dass die Dänen nicht bereit sind, den europäischen Weg über die Währungsunion zur staatlichen Föderation mitzugehen. Eine solche Euro-Skepsis ist jedoch rational nachvollziehbar und legitim – und sie hat auch wesentlich mehr zum Euro-Nein beigetragen als die Fremdenfeindlichkeit der Dänischen Volkspartei. Diese bildet nämlich nur den kleineren rechten Flügel einer parteipolitisch breiten Anti-Euro-Bewegung, die ebenso Christdemokraten und Liberale umfasst, deren Hauptgewicht aber bei Sozialisten und Rot-Grünen liegt. Stimmentscheidend waren die Widerstände an der Basis der großen Ja-Parteien. Ein Viertel der liberal-konservativen und sogar die Hälfte der sozialdemokratischen Wähler stimmte gegen den Euro.

Die ideologische Heterogenität der dänischen Euro-Opposition erklärt auch, warum die Volkspartei ihre Ausländerfeindlichkeit ausdrücklich aus dem Abstimmungskampf ausgeklammert hat. Der Schritt erfolgte nicht freiwillig, sondern auf Druck der übrigen Parteien und Gruppen, die befürchteten, dass Kærsgaards rassistische Rhetorik links orientierte Euro-Gegner abschrecken würde. Die erzwungene Geschlossenheit der Nein-Seite hat dazu geführt, dass fremdenfeindlicher Populismus tatsächlich keine Rolle in der dänischen Debatte gespielt hat. Sonst wäre eine Mehrheit gegen den Euro nicht möglich gewesen.

Volksabstimmungen erzwingen die Bildung breiter politischer Allianzen, in denen extremistische Positionen hinter dem gemeinsamen Ziel der gesellschaftlichen Mehrheitsbildung zurücktreten müssen. In Deutschland kann dieser Mechanismus nicht wirksam werden, weil die Europapolitik nur von den Bundestagsparteien bestimmt wird, die ihrerseits politisches Kapital aus diffusen Anti-EU-Stimmungen schlagen. Vorgemacht hat dies Gerhard Schröder, als er sich im Bundestagswahlkampf 1998 zum Anwalt gesellschaftlicher Euro-Skepsis erhob. Gleiches tat seinerzeit auch der CSU-Landespolitiker Edmund Stoiber, um seine Wiederwahl als bayerischer Ministerpräsident zu sichern. Selbstverständlich sind weder Schröder noch Stoiber erklärte Euro-Gegner. Dies jedoch hielt sie nicht davon ab, zur Steigerung der eigenen Popularität einen latenten DM-Nationalismus zu bedienen.

Bei der EU-Erweiterung besitzt dieser Populismus von oben noch erhebliches Steigerungspotenzial. Zwar treten alle Bundestagsparteien programmatisch für die Aufnahme der mittel- und osteuropäischen Staaten ein. Gleichwohl wollen CDU/CSU die Osterweiterung zum Oppositionsthema bis zu den nächsten Bundestagswahlen machen. Besonders in den östlichen Grenzländern zwischen Schwerin und München wird die Versuchung wachsen, antipolnische oder antitschechische Ressentiments parteipolitisch zu missbrauchen. Wie erfolgreich dies bei Landtagswahlkämpfen praktiziert werden kann, zeigt die hessische CDU und ihre fremdenfeindliche Kampagne gegen das neue Staatsbürgerschaftsrecht. Auch beim Thema Osterweiterung kann man leicht „Integration“ auf seine Fahnen schreiben, aber gezielt jene anlocken, die „gegen die Ausländer“ unterschreiben wollen.

Das parteipopulistische Spiel mit Europa kann fortgesetzt werden, solange gesellschaftliche Euroskepsis keine Folgen für europapolitische Entscheidungen haben kann. Im Falle einer Volksabstimmung wäre es damit vorbei. Doppelzüngige Kampagnen à la Roland Koch wären politisch zu riskant, weil sie sich am Tag der Stimmenauszählung rächen könnten. EU-Volksentscheide wie in Dänemark würden die Parteien disziplinieren und dazu zwingen, europapolitisches Reden und Handeln in Einklang zu bringen. Dann könnte auch der allseits geforderte Dialog mit den Menschen endlich beginnen. CARSTEN SCHYMIK

Hinweise:Joschka Fischer muss nicht Dänisch lernen. Die Dänen haben ihn bereits im Original richtig verstanden. Weder Schröder noch Stoiber sind erklärte Euro-Gegner. Trotzdem bedienten sie den DM-Nationalismus.