Kwaśniewski ist nicht zu stoppen

Trotz eines Fauxpas auf Kosten des Papstes scheint die Wiederwahl von Polens Präsident am kommenden Sonntag sicher. Die Vertreter der Solidarność sind weit abgeschlagen. Daran ändert auch die Intervention der katholischen Kirche nichts

aus Warschau GABRIELE LESSER

Ist Polens Präsident in Wirklichkeit ein Plüschschaukelpferd mit auswechselbarem Kopf? Oder ein König, der plötzlich nackt dasteht, nachdem der Gegenkandidat gesagt hat: „Er hat ja gar nichts an“? Oder wird er in Kürze in anderen Ländern um Asyl bitten müssen, weil er im eigenen Lande zur „Persona non grata“ erklärt wurde? Über den jüngsten Politskandal scheinen sich vor allem die Karikaturisten des Landes zu freuen: Die Zeitungen zumindest sind wieder voll von bissigen Zeichnungen.

Am Sonntag werden die Polen einen neuen Präsidenten wählen. Von zunächst 20 Kandidaten blieben 13 übrig, denen es gelungen war, mehr als 100.000 Unterschriften zu sammeln. Dass sich dabei wieder die „politische Folklore“ um das höchste Amt im Staate bewirbt – windige Geschäftemacher, Egozentriker und Antisemiten –, quittieren die meisten Polen nur noch mit einem Achselzucken. Diesmal schien es trotz allem eine schöne Kampagne zu werden, etwas langweilig vielleicht, weil der Sieger festzustehen schien: Präsident Aleksander Kwaśniewski (46), der vor fünf Jahren knapp gegen Lech Walesa, den früheren Arbeiterhelden der Solidarność, gewonnen hatte.

Der Vorsprung des Postkommunisten schien unaufholbar zu sein: Mit 60 bis 70 Prozent Zustimmung stand Kwaśniewski uneinholbar an der Spitze, weit abgeschlagen folgte mit 12 bis 14 Prozent Andrzej Olechowski (53) – auch er ein Postkommunist – und auf Platz drei mit 7 bis 8 Prozent Marian Krzaklewski (50), Nachfolger Lech Wałęsas auf dem Chefsessel der Gewerkschaft Solidarność und Vorsitzender der gleichnamigen Partei (AWS).

Doch dann begann der Fernsehwahlkampf: Im Videoclip Marian Krzaklewskis steigt der Präsidentenberater Marek Siwiec aus einem Helikopter und macht, wie der Papst dies beim Anblick der Gläubigen tut, das Segenszeichen über der wartenden Delegation. Siwiec folgt der Präsident Polens und fragt amüsiert: „Hat er schon den Boden geküsst?“, worauf sich Siwiec auf den Boden wirft und einen Schmatz auf den Rasen setzt. Aus dem Off fragt eine tiefe Stimme: „Kommt es Aleksander Kwaśniewski zu, einem Mann, der öffentlich den heiligen Vater beleidigt, unser Land zu repräsentieren?“

Das Entsetzen der Polen hat kein Ende. Aus dem Off tönt es unheilkündend: „Katyn und andere. Dies sind Orte des Märtyrertodes tausender Polen. Und hier (sehen Sie), wie sich dort der polnische Präsident verhält, der Repräsentant der Majestät dieser Republik.“ Kein Zweifel: Kwaś- niewski schwankt und hält während der Kranzniederlegung nur mühsam das Gleichgewicht. Wieder ist die Stimme: „Präsident der Republik kann niemand sein, der die für die Polen heiligsten Symbole und Orte beleidigt.“

Obwohl Marek Siwiec noch am Tag der ersten Ausstrahlung des Videos zurücktrat, sich der Präsident öffentlich für den drei Jahre zurückliegenden Fauxpas entschuldigte, läuft das Video Krzaklewskis jeden Tag im Fernsehen: Die Stimmung heizt sich auf. Alles diskutiert nur „die Schweinerei“, wobei die einen die Parodie auf den Papst meinen, die anderen die Verlogenheit anprangern, mit der die Empörung erst jetzt einsetzt, um damit im Wahlkampf Stimmen zu fangen.

Die katholische Kirche, die sich bislang aus dem Wahlkampf zurückgehalten hat, da ihre Empfehlungen in der Vergangenheit immer zur Niederlage des betreffenden Kandidaten geführt hatten, fordert ihre Gläubigen auf: „Kwaśniewski nicht“.

Eine Stadt nach der anderen, die von der AWS, also Krzaklewskis Partei, regiert werden, erklären den Präsidenten zur „Persona non grata“ und appellieren an seine Ehre, sich in Krakau, Zakopane, Wadowice, dem Geburtsort des Papstes, wie in anderen Städten nicht mehr blicken zu lassen. Senatoren der AWS erklären, dass das Verhalten des Präsidenten auf dem Flughafen von Kalisz 1997 die Verfassung verletze. Der Präsident habe die Ehre der Nation zu schützen. Darüber hinaus habe Kwaśniewski das religiöse Empfinden vieler Millionen Polen verletzt und damit gegen die Rechtsgrundlagen eines demokratischen Staates verstoßen.

Kwaśniewski, populärster Politiker Polens, versucht zu retten, was zu retten ist. Zwar hat er laut Umfragen in den letzten Tagen einige Prozentpunkte eingebüßt, doch an seine Niederlage glaubt kaum jemand. Nach wie vor verkörpert er das Bild des Präsidenten, wie ihn sich die Polen wünschen – er ist weltoffen, spricht mehrere Sprachen, räumt Fehler ein und entschuldigt sich dafür. Er gibt zu, dass er kein Katholik ist, und steht zu seiner Vergangenheit – Kwaśniewski hat noch im alten System Karriere gemacht und es bis zum Sport- und Jugendminister gebracht. Er hat „auf der anderen Seite“ – und das rechnen ihm viele hoch an – entscheidend zum Gelingen des „Runden Tisches“ beigetragen und damit zur freiwilligen Machtabgabe der Kommunisten.

Unter Kwaśniewski wurde eine demokratische Verfassung verabschiedet, das Land trat der Nato bei und hat entscheidende Fortschritte auf dem Weg in die EU gemacht. Sogar das Konkordat zwischen Polen und dem Vatikan konnte unter Kwaśniewski unterzeichnet werden. Da der Präsident Polens in der Welt anerkannt, zugleich aber nicht „zu verwestlicht“ ist, repräsentiert er trotz des Drei-Minuten-Ausrutschers den Traum der Polen des „Wir sind wieder wer in der Welt“. So sind weder Krzaklewski noch Expräsident Walesa eine Alternative zu Kwaśniewski. Das Solidarność-Lager hat das Vertrauen der Gesellschaft verloren. Man will die Kraft für die Zukunft einsetzen, sich nicht weiter über die Vergangenheit streiten und über Walesas Wahlslogan nachdenken: „Schwarz ist schwarz und weiß ist weiß.“ Auch Krzaklewski, der es in den letzten Jahren abgelehnt hat, den undankbaren Posten des Ministerpräsidenten zu übernehmen, und lieber im Hintergrund die Fäden zog, strahlt nicht eben die Kompetenz eines weltläufigen Staatsmannes aus. Wenn in seinem Wahlspot ein Sänger die letzten Zweifler dazu bringen will, für Krzaklewski zu stimmen, weil dieser „wirklich gut aussehend“ sei, erinnert dies doch eher an Shampoo-Werbung.