Adler verpflichtet

Zeit zum Fliegen: Motivator Jürgen Höller zeigt Geschäftsleuten, wie sie über ihren Erfolg auch glücklich sein können  ■ Von Gernot Knödler

Blitze durchzucken den Saal Eins des CCH. „I've got the power!“ dröhnt aus den Lautsprechern. Jürgen Höller, möglicherweise Deutschlands bekanntester Motivationstrainer, hat zum norddeutschen Power Day 2000 eingeladen. 12.000 Leute brachte er im Februar in der Dortmunder Westfalen-Halle auf Trab – immerhin 1500 sind es an diesem Septembertag im Congress Centrum Hamburg. Fünf Anzug- und Kostüm-TrägerInnen tanzen dem großen Motivator voraus über die Bühne. Countdown. Raketenstart. Es erscheint der Meister selbst: schwarzer Anzug, weißes Hemd, Manschettenknöpfe. Der Lautsprecher fordert: „I want to see more happy people!“

Genau darum geht es Jürgen Höller, abgesehen vom Geldverdienen. Die Unternehmer-, Verkäufer- und ManagerInnen im Publikum wollen nicht bloß erfolgreich, sondern auch glücklich sein. Und wer noch nicht kapiert hat, dass beides zusammengehört, dem bimst es Höller bei seinem Power Day ein.

Doch als erstes bereitet der Meister den Grund für seine Lehre: „Ich will, dass du ein Verwerter bist, kein Bewerter!“, ruft er in den Saal. Wer hier teilnimmt und 100 bis 400 Mark Eintritt gezahlt hat, soll seine Skepsis hintanstellen und sich einlassen auf das Programm. „Ich möchte, dass du heute mit mir lernst, wieder verrückt zu sein“, sagt Höller. Beim ersten Ausflug ins Publikum küsst er einen überraschten Teilnehmer auf die Glatze.

Für die biederen Geschäftsleute im Saal beginnt das Verrücktwerden damit, bei Jürgen Höllers Aufwach-Spiel mitzumachen: Jede volle Stunde, wenn die ersten anfangen, auf ihrem Sitz tiefer zu rutschen, müssen sich die Teilnehmenden die Ohren kneten, wie Gorillas auf die Brust klopfen, gegenseitig massieren und tanzen, während auf der großen Leinwand Düsenjäger starten, U-Boote tauchen und Artis-ten durch die Luft schweben. Das Ganze endet damit, dass Höller seine vibrierende Hand im Halbkreis um sich herumzieht und schließlich zur Faust geballt in die Luft schleudert: „Yahooo!“ Wir sind gut drauf oder tun wenigstens so.

Wie wird man erfolgreich? Laut Höller, indem man die Verantwortung für das übernimmt, was im eigenen Leben passiert. Indem man sich Ziele setzt – 95 Prozent aller Menschen tun es Umfragen zufolge nicht. Indem man positive Gewohnheiten ausbildet. – Wer abnehmen will, soll auf nutzlose Diäten verzichten und lieber 21 Tage hintereinander joggen. Dann wird das Laufen zum Bedürfnis. Mit dem Rauchen ist es ebenso. Sagt Höller. Zeit für Yahooo!

Die meisten Leute im Saal, ob alt, ob jung, ob dick, ob dünn, machen das Aufwach-Spiel mit. Nur mein kahlköpfiger Nachbar schmollt: „Funktioniert nur in Amerika“, brummelt er und: „Setz dich hin, ich seh nichts mehr!“ Gott weiß, warum er das Geld für einen VIP-Platz ausgegeben hat.

Vielleicht um Sätze zu hören wie diesen: „Die Zeit des logischen Vorgehens ist vorbei: Man muss auch durch Begeisterung die Sache an den Mann bringen; man muss es vermarkten.“ Oder diesen: „Gute Mitarbeiter werden sich in den nächsten zehn Jahren eine goldene Nase verdienen, weil die Wirtschaft in Euroland boomen wird.“ Oder diesen: „Ideen werden bezahlt.“ Höller macht es vor: Draußen im Foyer sind auf 50 Metern Tische mit Büchern und Cassetten aufgebaut, die er alle selbst gelesen oder geschrieben haben will: Von der Möwe Jonathan über die Biographie des Mannes, der McDonalds zur Weltfirma machte, bis zu „In sieben Jahren zur ersten Million“.

Torsten Jabs ist eigentlich schon ganz erfolgreich. Der 27-jährige Bremer hat vor zwei Jahren seinen Traum verwirklicht, auf Mallorca zu leben. Er gründete eine Informatik-Firma, die Internet-Seiten für mallorquiner und spanische Kunden erstellt. Nachdem er mehrere Höllersche Bücher gelesen hatte, sei er für zwei Tage nach Hamburg geflogen, um „noch mehr motiviert zu werden“, erzählt der gelernte Groß- und Außenhandelskaufmann.

Das Glück, sagt Höller, ruht auf fünf Säulen: dem Beruf, der wichtigsten, weil wir damit die meiste Zeit verbringen; dem Geld, weil es sich in jeder Lage mit Geld besser leben lässt als ohne; der Gesundheit, der Familie und dem nicht scharf definierten „Sozialen“. Wenn alle Säulen sicher stehen, kann auch mal eine nachgeben, ohne dass das Gebäude einstürzt. Damit die Säulen hoch werden, muss der Mensch an sich glauben. Und er muss sich darüber im Klaren sein, dass er das aus der Welt zurückkriegt, was er in sie hineingibt: „Behandle die Leute so, wie du behandelt werden möchtest.“ Spätestens an dieser Stelle bekommt die Lehre des bekennenden Katholiken Höller einen spirituellen Touch.

JedeR ist einmalig, verkündet der Motivator. JedeR hat ein riesiges unausgeschöpftes Potenzial, ist ein Adler, der unter Hühnern aufgewachsen ist und erst entdecken muss, dass er für Freiheit und Abenteuer geboren wurde. Um den Adlern die Angst vorm Fliegen zu nehmen, lässt er sie am Ende seiner Show über Scherben gehen.

Nach einer kleinen Suggestions-Übung schlägt Höller ein paar Weinflaschen klein und ruft Freiwillige auf die Bühne. Vor laufender Kamera versichern sie, dass sie die Verantwortung für ihr Tun übernehmen und laufen los. Kein Blut, nichts. Danach springt einer vom Stuhl in die Scherben, und schließlich legt sich der Meister mit ent-blößtem Oberkörper drauf. Eine Frau stellt sich auf seinen Bauch. Selbstverständlich bleibt er unverletzt.

„Wenn man keine Angst davor hat, funktioniert's“, sagt Irmhild Bringsken. Bei einem Seminar sei sie zusammen mit 300 anderen über den Scherbenhaufen gelaufen und keiner habe sich verletzt. „Es gibt nur zwei Möglichkeiten zu versagen“, sagt Höller: „1. Nie anfangen! 2. Unterwegs aufgeben!“ Ein Mitarbeiter singt „The lift goes up where you belong“, und Jürgen Höller setzt seine letzte Botschaft ab. „Du musst am Ende deines Lebens zurückblicken und sagen können: ,Es war ein herrliches Leben'.“