Erstickte Sensibilität

■ Plädoyer für ein Ende weiblicher Selbstausbeutung: Die Ghanaerin Amma Darko liest aus ihrem Roman „Verirrtes Herz“

Man könnte sagen: eine schlichte Geschichte. Man könnte behaupten, das habe man schon mal gehört, schon mal gesehen, gelesen zumindest glaube man das, irgendwo... Und doch ist es nicht wahr: Natürlich gibt es etliche in europiäische Sprachen übersetzte afrikanische Romane und Geschichten, manchmal von großen Organisationen gefördert – wie der Welthungerhilfe, die den im Hammer-Verlag edierten Band Die Sonnenfrau mit afrikanischen Geschichten mitfinanzierte –, manchmal in kleinen Verlagen erschienen. Aber selten hat eine Autorin so stark verdichtet, was sie zu sagen hat: Verirrtes Herz heißt der jüngste Roman der Ghanaerin Amma Darko, die in den Bänden Der verkaufte Traum und Spinnweben ihre Erfahrungen als Asylberwerberin in Deutschland zwischen 1981 und 1987 festhielt und sich in den folgenden Büchern – analog zu ihrem wieder nach Ghana verlagerten Lebensmittelpunkt – stärker auf Afrika konzentrierte. Und dass sie 1999 eine Mecklenburg-Vorpommern-Lesereise abbrach, weil Skinheads sie mit Bierdosen bewarfen, hat sie in ihrem Vorsatz noch bestärkt, in packenden, latent selbstironischen Geschichen afrikanische Realität nachzuzeichnen.

Der kleine Stuttgarter Schmetterling-Verlag hat auch den neuen Roman Verirrtes Herz herausgegeben, dessen Fabel eigentlich ganz einfach ist: Eine Frau in einem ghanaischen Dorf gebiert drei Kinder – ein Mädchen und zwei Jungen –, der bäuerliche Vater verflucht die erstgeborene Tochter, die geschäftstüchtige Mutter steuert den größten Teil des Geldes bei. Alsbald stirbt der Ehemann, und die Witwe weigert sich, den vom Clan ausgesuchten Nachfolger zu heiraten, wird erwartungs- und ususgemäß verflucht und macht sich wieder ans Geldverdienen.

Soweit, so tragisch – und so emanzipiert: Noch gegen den Willen ihres Mannes hatte Mutter Babedu den Schulbesuch der Tochter durchgesetzt. Und dann schnappt die Falle zu: Aufopfern werden sich nämlich beide Frauen auf der Mutter Geheiß, um die Ausbildung der Söhne zu finanzieren; der Schulbesuch der Tochter spielt plötzlich keine Rolle mehr. Jahrelang geht das so, Hass keimt in der Tochter, die die zunehmende Arroganz der Brüder ertragen muss. Verbitterung bis zum Wahnsinn entwickelt sich in der jungen Frau.

Unverständlich scheint auf den ersten Blick, warum die Mutter ihre emanzipierten Ansichten vergisst. Doch die pure Not geht hier eine Symbiose mit verinnerlichten Wertvorstellungen ein, die auch deshalb eine so starke Sogwirkung haben, weil die Frau zusätzlich von Clan und Nachbarn unter Druck gesetzt wird. Selbstbestimmtes Leben ist kaum möglich innerhalb einer Gemeinschaft, die solch zementierten Rollenbildern folgt und deren Wächter im Dorf als allgegenwärtige Kontrolleure lauern, um z. B. sicherzustellen, dass das vergewaltigte Mädchen nicht mehr die geringste Chance auf Heirat hat.

Und doch reduziert Darko ihre Protagonistinnen nicht auf kraftlose Opfer: Sie beschreibt vielmehr eindringlich, dass Frauen selbst Anteil haben an der Verfestigung solcher Verhaltensmuster, wenn die Mütter ihre Töchter etwa gewinnbringend als Arbeitskraft verschachern. Doch so stark der Rückfall in traditionelle Rollen auch ist – die Tochter in Amma Darkos Verirrtem Herz ist noch sehr privilegiert: Sie bemerkt wenigstens, dass sie benutzt wird – eine Chance, die laut Darko nicht viele Ghanaerinnen haben, weil ihre Sensibilität für eigene Bedürfnisse durch den täglichen Existenzkampf erstickt wird.

Ein rein afrikanisches Buch also? Ja, sicher, auch, und wenn man das Dorf als exemplarische Parzelle des afrikanischen Kontinents betrachtet und den am Schluss formulierten Appell, die in-nerfamiliären Querelen zu beenden, als Aufforderung einer Afrikanerin an ihre Landsleute versteht, zusammenzuhalten. Man kann das Buch aber auch universeller lesen: als Appell an alle Frauen, sich nicht bloß als Opfer zu betrachten, sondern auch bei sich selbst anzusetzen und zu prüfen, inwieweit sie durch unterwürfiges Verhalten jener Unterdrückung erst Raum geben, die sie an anderer Stelle so vehement beklagen.

Petra Schellen

Amma Darko: Verirrtes Herz, Schmetterling Verlag, Stuttgart 2000, 176 Seiten, 29,80 Mark.

Lesung: 8.10., 11.30 Uhr, Zentralbibliothek