Langer Marsch am grünen Tisch

Das Hamburger Verwaltungsgericht widerspricht der Polizei und wird einen Neonaziaufmarsch wohl nachträglich legitimieren  ■ Von Kai von Appen

Hamburgs Polzei im Argumentationsnotstand für den polizeilichen Notstand: Im Verwaltungsgerichtsverfahren über die Rechtmäßigkeit des Verbots des Neonaziaufmarsches vom 5. Juni vorigen Jahres in der Hamburger City haben die Ordnungshüter schlechte Karten. Sie hatten das Marschverbot gegen die Wehrmachtsausstellung damals mit „polizeilichem Notstand“ begründet: 2700 PolizistInnen hätten nicht ausgereicht, bei den erwarteten gewalttätigen Gegendemonstrationen Ausschreitungen zu verhindern oder die Demo der Rechten zu schützen.

Gleich zu Prozessbeginn machte Richter Friedrich-Joachim Mehmel deutlich, dass an diese Argumentation ganz hohe verfassungsrechtliche Kriterien gesetzt seien: „Polizeilicher Notstand ist zugleich der Offenbarungseid für den Staat.“ Die gleiche Kammer hatte damals im Eilverfahren das Verbot zugunsten eines stationären Aufmarschs auf der Moorweide und einer stationären Gegendemo im Unibereich aufgehoben, war aber vom Oberverwaltungsgericht korrigiert worden.

Polizeistratege Karl Peter Born rechtfertigte gestern das damalige Lagebild. Der Staatsschutz hatte einfach die Verfassungsschutzzahl von „600 gewaltbereiten Hamburger“ und mutmaßlich 400 auswärtigen Autonomen zu „1000 gewaltbereiten Störern“ addiert. Daher wären allein 900 Polizisten zum unmittelbaren Schutz der Faschos notwendig gewesen. Weitere 1800 Polizisten hätten in sechs Sicherheitszonen in der Innenstadt an gefährdeten Objekten sowie weitere 900 Beamte für Begleitmaßnahmen abgestellt werden müssen. „Wenn die nicht an den Aufmarsch rankommen, greifen die Autonomen in Kleingruppen andere Objekte an“, so Born. Dies wäre bei einer Kundgebung auf der Moorweide nicht anders gewesen. Als Beleg nannte Born Erfahrungen bei „Entglasungen“ in den 80er Jahren in der Waitz- oder Schmilinskystraße.

Sogar Neonazianwalt und NPD-Präsidiumsmitglied Hans-Günter Eisenecker bestritt derartige Vandalismusvermutungen: „Sowas machen Fußballrowdys.“ Wenn die Kundgebung am Dammtor stattgefunden hätte, hätten sich die Autonomen auch dorthin orientiert. Eisenecker: „Es gab keine konkreten Anhaltspunkte aus der automomen Szene, als Ersatz Objekte in der Innenstadt zu zerstören.“ Außerdem sei die Waitzstraße schließlich auch nicht geschützt worden.

Auch Mehmel hält das Raumschutzzonenkonzept nicht für schlüssig: „Sie werden doch nicht unterstellen, dass die Autonomen zu den Deichtorhallen marschiert wären.“ Das Urteil wird in der kommenden Woche schriftlich verkündet. Es steht aber wohl schon jetzt fest, dass das Gericht eine stätionäre Kundgebung für möglich gehalten hätte.