Kleiner Schritt zur Erleuchtung

■ Die Hochschule für Künste bespielt in einem Kraftakt eine Woche lang den Dom

Der Benjamin'sche Tigersprung zwischen weit auseinander liegenden Epochen wird in der Kunst seit etwa 15 Jahren trainiert. Antikenmuseen laden lebende KünstlerInnen (Tote geht ja nicht) ein, ihren edlen weißen Marmor mit moderner Kunst kommentierend/paraphrasierend/dementierend zu umgurren. Und selbst die Bremer Kunsthalle hängt längst Cindy Sherman neben Rubens und erzielt aus der Fusion Mehrwert.

Auch die Kirche hatte nie Probleme, schnuckelige Barockaltäre unters gotische Gewölbe zu hängen. Das Kirchenschiff als ständig wachsender Raum. Da ist der Schritt nicht mehr weit zum Projekt „NachtTräumeZeitRäume“. Eine Woche lang darf die Hochschule für Künste den Dom frei nach Schnauze okkupieren. Sie tut das mit einer Ausstellung, Vorträgen, Lesungen und wagemutigen Konzerten mit diversen Uraufführungen sowohl von Lehrenden als auch von StudentInnen. Die Kirche weiß, dass sie sich öffnen muss, um nicht ihren letzten Gläubigen zu verlieren, und manchmal bewirkt dieser Zwang eben auch Großes. Kuratorin Sabine Maria Schmidt nennt das seit zwei Jahren erarbeitete Kunstpaket „Veranstaltungsereignis“ – wobei man immerhin noch froh sein kann, dass man von den Begriffen -event oder -erlebnis verschont bleibt.

Das von der Grafikabteilung der HfK schick gestaltete Programmheft lag gestern der taz bei. Sie haben es sicherlich schon gründlichst studiert. Deshalb hier an dieser Stelle nur ein paar Worte zur Ausstellung. Der Einzige, der sich von den monumentalen Dimensionen des Doms nicht in die Knie zwingen lässt ist Benjamin Lauterbach. Bei ihm geht es um die abgöttische Verehrung, die wir gemeinhin den alten Baumeistern zollen. Lauterbach dachte sich wohl, das kann ich doch auch, und fantasierte mit überdimensionierten bunten Kinderbauklötzen an einem Pfeiler in schönster Unbeschwertheit weitere Rundbögen und Rundfenster wild dazu. Ute Fischer hat Erbarmen mit Adam und Eva, die auf einem alten Kirchenfenster ursündigen. Sie stellt den Gefallenen Badehose und Bikini aus Keramikblättern und -rosen zur Verfügung und zeigt so, dass eine Welt der Schamhaftigkeit auch ihre Reize haben kann.

Weil die Kirche auch der Ort der Barmherzigkeit sein sollte, zeigt ein Video von Stefan Demming die zerknirschten Gesichter der Obdachlosen von den Rathausarkaden nebenan. Ein bisschen mehr künstlerischen Eingriff ins Dokumaterial hätt's schon sein können. Das gilt auch für ein Video von Eduardo Raccah. Es zeigt im eher leeren Bremer Gotteshaus einen dieser ekligen Eventgottesdienste, auf denen in den USA und Lateinamerika Tausende von Gläubigen auf inbrünstiges Ausrasten machen – ein Fall von negativer Öffnung der Kirche. Beginnt da die Nähe zum Thema Kirche in Plattheit umzuschlagen? Und der obligatorische Touchscreen voller Häppcheninfos zum Dom in wahrhaft bescheuerter Expo-Zeitgeistigkeit nervt. Till Meier dagegen verzichtet auf kirchliche Accessoires und zeigt schemenhaft gezeichnete Straßenszenen, die er aus einem New Yorker Kellerfenster heraus beobachtet hat. Im Dom platziert, werden aus flüchtigen Passanten existenzielle Sinnsucher ... Eine Umwertung des Kunstwerks durch den Raum.

Beim Durchforsten des Doms entdeckt man manches Alte neu. Am schönsten sind aber zweifelsohne die Besucherzettelchen in der linken hinteren Ecke: „Lieber Gott, oft war ich lieblos, ich komme mir doof vor.“ Von diesem Erkenntnisstand ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Erleuchtung. Kirchenräume waren schon immer wunderliche Sammelsurien. bk

Führungen 8.-13.10. jeweils 15 h und am 11.10., 16h. Eröffnung heute, Samstag, um 19.30 Uhr