Ein Minister liebt die Revolution

Das Ministerium von Joschka Fischer hält sich einiges auf seine Jugoslawien-Politik zugute. Die juristische Verfolgung von Milošević als Kriegsverbrecher ist jetzt nachrangig

BERLIN taz ■ Wenn der Außenminister in diesen Stunden nach dem Volksaufstand von Belgrad auf Journalisten trifft, seufzt er noch tiefer als sonst. Dabei sind es nicht die Verhältnisse in Jugoslawien, die ihm die Schultern niederdrücken, sondern die Begriffsstutzigkeit der deutschen Öffentlichkeit. So richtig, glaubt der Exrevolutionär Fischer, hat man im penetrant revolutionsskeptischen Deutschland das Ausmaß des Umsturzes auf dem Balkan noch nicht erfasst. „Das war das letzte Stück Mauer, das gefallen ist“, sagt Joschka Fischer, und seine Diplomaten blicken ein wenig stolz auf ihn, ganz so als arbeite die deutsche Beamtenschaft auf nichts lieber hin als Revolutionen.

Zu den wirklich heiklen Fragen will Fischer lieber nicht persönlich Stellung nehmen: Wann werden auch die Russen Milošević fallen lassen? Was soll mit dem gestürzten Diktator passieren? Wie nationalistisch wird ein möglicher Präsident Kuštunica agieren?

Ernsthaft glaubt der Minister wohl nicht mehr an ein Scheitern des Aufstandes. Trotzdem vermeidet Fischer es bisher sorgfältig, von Milošević’ Sturz zu sprechen. Auch im Auswärtigen Amt (AA) räumt man ein, dass dieser Mann, solange er noch im Land ist, eine Bedrohung für jede demokratische Regierung bedeutet.

Immerhin scheint eines klar, auch wenn es so unverblümt keiner aussprechen will: Die Bundesregierung und offenbar auch die USA sind bereit, Milošević ziehen zu lassen. Das internationale Kriegsverbrechertribunal in Den Haag hätte dann das Nachsehen. „Alles, was jetzt den friedlichen Übergang sichert, ist zu unterstützen“, heißt das im Diplomatendeutsch, „alles anderes ist nachrangig.“

Im Auswärtigen Amt sieht man sich durch den bisher weitgehend friedlichen Aufstand in der eigenen Jugoslawien-Politik bestätigt. „Wir waren in den letzten Monaten manchmal richtig deprimiert – aber immer engagiert“, fasst ein Mitarbeiter zusammen. Beständige Kontakte zur Opposition in Serbien hätten diese gestärkt, wobei auch die deutschen politischen Stiftungen sowie Städtepartnerschaften eine wichtige Rolle gespielt hätten.

Die Haare rauften sich die Angehörigen des „Sonderstabes Westlicher Balkan“ allerdings über die Weigerung der europäischen Finanzminister, die Anti-Milošević-Kräfte materiell mehr zu stärken. Vom „politischen Horizont des Rotstifts“ ist verächtlich die Rede. Am Montag entscheidet sich in Brüssel, wie großzügig die EU gegenüber einer neuen Regierung in Belgrad sein wird.

Einigkeit besteht zwischen Bundesregierung und EU-Partnern in der Aufhebung der Sanktionen sowie einer baldigen Aufnahme Serbiens in den Balkan-Stabilitätspakt. Offen ist noch, wie üppig und wie effektiv ein „Soforthilfeprogramm“ ausfällt, das sich die Deutschen wünschen. Fischers Einsatz wird beträchtlich sein, denn mehr denn je möchte er auf dem Balkan beweisen, ein guter Außenpolitiker zu sein.

Eigentlich wäre er diese Woche weit ab vom Schuss gewesen. Marokko, Algerien, Tunesien stand auf dem Reiseplan des Ministers. Er hat die Tour abgesagt, noch ehe am Sonntag die informellen Umfragen Kuštunica als Wahlsieger auswiesen. Joschka Fischer erkennt eine revolutionäre Situation, wenn er sie sieht.

PATRIK SCHWARZ