Putin hechelt hinterher

Im letzten Moment erkennt auch die schläfrige Moskauer Balkanpolitik die Belgrader Realität

aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH

In den letzten Tagen erweckte die Kremlführung den Anschein, als wolle sie nicht wahrhaben, was auf dem Balkan passiert. In Zeitlupe hechelte Präsident Wladimir Putin den Ereignissen hinterher. Längst war das Parlament in Belgrad von den Demonstranten der demokratischen Opposition genommen, da trat der aus Indien zurückgekehrte Kremlchef noch mit einem faden Appell an die Öffentlichkeit. „Die tragischen Entwicklungen im befreundeten Jugoslawien“, so Putin nach einer Krisensitzung mit dem Chef des Sicherheitsrates Sergej Iwanow, sollten auf demokratische Weise und im Interesse des Volkes entschieden werden. Das Volk hatte die Dinge schon in die Hand genommen und unblutig gelöst.

Gestern morgen dann entsandte der Kremlchef Außenminister Iwanow nach Belgrad – offiziell immer noch mit einem Vermittlungsauftrag. Kaum angekommen, überbringt Igor Iwanow Vojislav Koštunica die Glückwünsche Wladimir Putins zum „Sieg bei den Präsidentschaftswahlen“. Was mag vorgefallen sein ? Konnte sich Außenminister Iwanow in Belgrad endgültig davon überzeugen, dass sich das Rad nicht mehr zurückdrehen lässt ? Wenig spricht dafür, dass der Kreml aus taktischen Überlegungen bis zuletzt den Eindruck aufrechterhielt, die Brücken zum alten Regime nicht vorschnell abbrechen zu wollen.

Stattdessen scheint die Entourage des Präsidenten die strategische Lage falsch eingeschätzt zu haben. Bereits Anfang der Woche hatte der neue serbische Präsident Koštunica den Kreml einer schwankenden Haltung bezichtigt. Zu Putins Angebot, zwischen Milošević und ihm zu vermitteln, meinte Koštunica damals: „Der Vorschlag zeigt, dass die Russen keine klare Meinung dazu haben, was im Land passiert.“ Erst mache der Kreml einen Schritt nach vorn, dann wieder einen zurück.

Es war ein Wink mit dem Zaunpfahl. Die Hals über Kopf erfolgte Anerkennung Koštunicas sollte nun retten, was noch zu retten ist. Um Haaresbreite hätte ausgerechnet Wladimir Putin, dem sehr an Russlands geopolitischer Aufwertung gelegen ist, den letzten Brückenkopf auf dem Balkan verspielt. Das russische Hadern erklärt sich aus der Befürchtung, mit dem noch unbekannten Koštunica koenne sich das Szenario der 80er-Jahre wiederholen. Die osteuropäischen Satelliten, die die UdSSR damals aus totalitärer Umklammerung entließ, hatten nichts Eiligeres zu tun, als sich von Moskau ab- und dem Westen zuzuwenden. Im Falle Serbiens war der Kreml auf dem besten Wege, diese Entwicklung selbst einzuleiten.

Innenpolitisch werden die Ereignisse noch einige Zeit in Moskau für etwas Unmut sorgen. Unter den Kommunisten und nationalpatriotischen Kräften hatte Slobodan Milošević noch eine ganze Reihe guter Freunde. Der Vorsitzende der Duma, Gennadi Selesnjew, warf der Opposition in Serbien vor, durch einen von der Nato gestützten Staatsstreich die Macht an sich gerissen zu haben: „Effektiv hat sich Koštunica mittels eines Putsches selbst zum Präsidenten ernannt.“

Der Fraktionschef der Kommunisten, Gennadi Sjuganow, blies ins gleiche Horn. Sein Kommentar zum friedlichen Umbruch in Belgrad: „Das ist eine Demokratie, die nach Marihuana, Wodka und Dollars stinkt.“