abschied von pat:
von RALF SOTSCHECK
Manchmal, wenn man Glück hat, lernt man einen Menschen kennen und merkt sofort, dass man einen Freund fürs Leben hat. Ich traf Pat Pottle zum ersten Mal vor zehn Jahren, als er wegen der Befreiung des Doppelagenten George Blake vor Gericht stand. Blake, der den Spionagetunnel von Westberlin unter die sowjetische Telefonzentrale in der DDR für CIA und MI5 organisiert und gleichzeitig an den KGB verraten hatte, war in England zu 42 Jahren Haft verurteilt worden.
Pat, sein Freund Michael Randle und der irische Kleinkriminelle Sean Bourke befreiten Blake mit Hilfe einer Strickleiter aus dem Londoner Gefängnis Wormwood Scrubs und versteckten ihn in einem Haus in London, während die größte Suchaktion in der englischen Geschichte lief. Die Besitzerin des Hauses, die nicht eingeweiht war, erzählte ihrem Psychiater, sie vermute, dass der Sowjetspion bei ihr wohne. Der Psychiater riet ihr, weniger fernzusehen und mehr Tabletten zu nehmen.
25 Jahre später schrieben Pottle und Randle ein Buch über die Aktion und wurden angeklagt, weil 110 Tory-Abgeordnete eine Petition einreichten. Der Prozess fand im selben Saal des Londoner Old Bailey statt, in dem auch Blake verurteilt worden war. Zum Abschluss der Verhandlung wies der Richter die Geschworenen an, Pottle und Randle – Bourke war längst gestorben – zu verurteilen. Er erwarte ein einstimmiges Urteil, mahnte der Richter. Das bekam er dann auch – unschuldig. Das englische Fernsehen änderte sein Programm, die Zeitungen brachten Sonderausgaben heraus mit dem Tenor: „Das perverseste Urteil des Jahrhunderts.“
Pottle und Randle hatten Blake 1961 im Gefängnis kennengelernt, nachdem sie wegen der Blockade des US-Luftwaffenstützpunkts Wethersfield zu 18 Monaten Haft verurteilt worden waren. Beim Prozess hatte Pat den Zeugen der Anklage gefragt: „Stimmen sie der folgenden Aussage zu: Wir dürfen nicht vergessen, dass wir uns zum Ziel, wenn nicht sogar zum Zentrum eines sowjetischen Angriffs gemacht haben, als wir in East Anglia Atomstützpunkte einrichteten?“ Richter Havers unterbrach aufgeregt: „Zeuge, nicht antworten! Ich verbiete das!“ Pat entgegnete trocken: „Das war eine Bemerkung von Sir Winston Churchill.“
Seine erste Anti-Kriegsdemonstration organisierte Pat 1959. Er wurde Nachfolger von Randle als Vorsitzender der Friedensorganisation Committe of 100 und Sekretär von Bertrand Russell. Pat wurde aus China, Malta und Griechenland wegen Anti-Atomaktionen ausgewiesen. In London wurde er bei einer Demonstration gegen den Staatsstreich der griechischen Generäle verhaftet, aber weil die Beamten vergaßen, die Tür des Polizeitransporters abzuschließen, entkam Pat.
Vor einem halben Jahr ist er mit seiner Familie in ein Dorf in Nordwales gezogen. Vorletzten Sonntag ist Pat im Alter von nur 62 Jahren gestorben, heute wird er begraben. Sein politisches Engagement mit einem Hang zum Anarchismus wäre im verblairten England immer noch so wichtig. Ich werde seine Herzlichkeit und seinen Humor vermissen.
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