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: The honorable Wembley Stadium may rest in pieces

Kevin Keegan springt mit ins Grab

Die Queen war nicht gekommen – sie mag den Fußball nicht so sehr, wie man weiß –, dafür waren ihre Untertanen um so weniger amused. Gar nicht mal wegen des verlorenen Spiels, auch wenn Niederlagen gegen diese Germans besonders bitter sind. Aber schlechte Spiele und enttäuschende Ergebnisse sind im einstigen Mutterland des Fußballs seit Jahrzehnten an der Tagesordnung. Aber es war eben der Tag des Abschieds vom großen Symbol aus glorreichen alten Zeiten: dem Wembley-Stadion.

Die beiden weißen Türme hoben sich gegen den düsteren Wolkenhimmel im Dauerregen besonders majestätisch ab, und allen schien etwas beklommen ums Herz. Wer eisigen Sinnes gekommen war, um den kümmerte sich der Stadionsprecher mit belegter Stimme. Schon zwei Stunden vor dem Match moderierte er die Menschen in eine ergriffene Beerdigungsstimmung. Von Kevin Keegans spontanem Abgang ahnte da noch niemand etwas.

Die Zuschauer waren nur Gäste, Nebenfiguren: „Good afternoon, Wembley Stadium“, tremolierte der Mann ins Rund. Auch die eigene Mannschaft schien nur Staffage: „If you have a voice, use it – for Wembley.“ Dann sprach er mit dem Stadion selbst: „Wembley! The world is listening.“ Zwischendurch spielte er getragenes Liedgut ein, wie „Bridge over troubled water“ (wobei das Stadion eher wie eine geflutete Brücke im Regen wirkte) oder das unvermeidliche You never walk alone, um sich nach dem zehntausendfachen Choral von den Tribünen zu bedanken: „Thank you, Wembley!“ Zur „bizarren Atmosphäre“, wie der gute Mann selbst sagte, passte am besten die donnernde „Sex bomb“ von Tom Jones: Der Sprecher wiederholte die Textzeile you turn me on und bezog die Anmache klar – auf Wembleys Türme: „Denken Sie an die Twin Towers.“ Altes Mauerwerk als Beischlafsymbol? Eine Doppelpenisspitze? Zwei Brüste? Überwältigend: wenn 70.000 ihre Nationalhymne zelebrieren.

Alles hatte es ein letztes Mal gegeben: Die letzte Ballberührung eines Engländers auf dem hl. Rasen hatte Nick Barmby; das letzte Tor schoss, logo, Didi Hamann, was in Liverpool Trost sein kann, schließlich spielen beide dort. Indes machte Hamann bei der allgemeinen Gefühlsduselei nicht mit, der Weg in die Geschichtsbücher sei ihm „eigentlich ziemlich egal“. The Last Whistle, das Motto des Spiels, der letzte Pfiff also, kam, wenig überraschend, vom italienischen Schiedsrichter.

Nur, der richtige Kracher kam erst nach dem unvermeidlichen Feuerwerk. Während ein stimmgewaltiger Tenor noch eine Abschiedsarie durchs andächtige Rund schmetterte, knallte es in den Katakomben: Trainer Kevin Keegan teilte seinem Team in der Kabine seine Demission mit. Ziemlich überraschend. Manche sprachen auch von Sensation, die englischen Zeitungen gebrauchten gestern die Floskel von der Bombe, die Keegan mit dem final whistle für sich selbst platzen ließ. Der Zeitpunkt ist auch fast so bizarr wie die Stimmung am Samstag: Übermorgen müssen die Engländer ihr nächstes Match bestreiten, in Finnland.

Vorher hatte Keegan noch gesagt, derzeit mache ihm „die Arbeit richtig Spaß. Ich fühl mich mehr im Job als vorher.“ Keegans Nachsatz „Jetzt hängen Leben und Tod nur von den Ergebnissen ab“ führte dann doch zum Freitod: „Ich bin nicht gut genug. Ich kann sonst nicht mehr in den Spiegel gucken.“

Wie es aussieht, will Kevin Keegan seinem Sport ganz entsagen: „Ich freue mich auf ein Leben ohne Fußball.“ Immerhin, dem sympathischen Ex-Hamburger geht es posthum wenigstens besser als dem Stadion selbst, das der Guardian mit dem schönsten Wortspiel des Wochenende verabschiedete: „May it rest in pieces.“

BERND MÜLLENDER