Die Stadt des Pferdchens

Maranello, Città della Ferrari, feiert den ersten Weltmeistertitel für die Automarke seit 21 Jahren

Tausende rote Fahnen wehten gestern Morgen auf der Piazza della Libertà direkt vor dem Rathaus, tausende Menschen mit roten Käppis, roten Jacken feierten begeistert. Doch in Italien käme niemand darauf, Maranello für einen Hort des Kommunismus zu halten, obwohl die Farbe Rot geradezu obsessiv präsent ist in dem kleinen Städtchen. Schon die Ehrentitel, die die Gemeinde sich selbst verliehen hat, räumen jedes Missverständnis aus, wem die Freude an der kräftigen Farbe gilt: Città della Ferrari, Ferraristadt nennt sich Maranello oder auch „Stadt des Pferdchens“ (gemeint ist das Ross im Wappen des Rennstalls), ja „Welthauptstadt der Motoren“.

Um Ferrari dreht sich hier in der Tat alles, zumal die Hauptstadt eher ein großes Dorf ist. Vor dem Rathaus ehrt ein mehr als fünf Meter hoher Bronze-Trumm den Firmengründer Enzo Ferrari und erzählt dem staunenden Betrachter die Stationen aus dem Lebensweg des Autofetischisten. In Maranello werden die Ferraris nicht nur seit 1947 zusammengeschraubt, hier werden sie nicht nur auf die Versuchspiste geschickt, hier kommen sie auch aufs Altenteil: In der „Galleria Ferrari“ lassen sich die ausgemusterten Boliden bestaunen, zusammen mit all den Pokalen, die sie so über die Jahre nach Hause gefahren haben.

Nach einem Spaziergang durch die Via Dino Ferrari kann der Fan dann in dem von der Gemeinde gesponsterten Treff mit dem etwas komplizierten Namen „Maranello Made in Red Café“ einkehren, natürlich zum „Auftanken“, wie der Werbeprospekt noch den letzten Dummie aufklärt. Oder dreht im „Warm up“ seine Runden, dem fast kaufhausgroßen Shop, wo Ramsch aller Sorten, geadelt durch das Ferrari-Wappen, zu Wucherpreisen über die Theke geht. Doch in Maranello meckert niemand drüber. Die Einheimischen leben ganz gut von den Fans, und die Auswärtigen gehören samt und sonders der roten Sekte an, pilgern das ganze Jahr in die Po-Ebene, um „le rosse“ zu bestaunen, die 500.000 Mark teuren Teile, die hier für die gemeine Kundschaft gebastelt werden.

Richtig lebendig wird es aber, wenn Formel 1-Meisterschaften zur Entscheidung anstehen. Dann drängen sich zu nachtschlafenen Zeiten 20.000 Leute vor den Großbildschirmen, dann fließen reichlich Tränen, egal ob bei Sieg oder Niederlage. Und dann gibt es sogar kirchlichen Beistand. Nach jedem Ferrari-Sieg lässt Don Bernardoni die Glocken läuten. Gestern aber kam das Gebimmel zu spät. „Mitten in der Messe“ sei er gewesen, brachte der Don zur Entschuldigung vor. Ob das durchgeht in der „Welthauptstadt der Motoren“? MICHAEL BRAUN