Die Arbeit beginnt

Vojislav Koštunica will die Serben versöhnen, Montenegro binden und das Kosovo behalten

aus Belgrad ANDREJ IVANJI

Es war die Krönung des Volksaufstandes. Samstagnacht ist der neue Präsident der Bundesrepublik Jugoslawien, Vojislav Koštunica, vereidigt worden. Die Zeremonie fand im Belgrader Kongreßzentrum „Sava“ statt, weil das Parlamentsgebäude während der Unruhen teilweise ausgebrannt ist. Und sie fand mit fünfstündiger Verspätung statt. Ein Tauziehen um Verfahrensfragen und Mandate war im Plenum und hinter verschlossenen Türen vorausgegangen.

„So lange habe ich mir gewünscht, dass wir eines Tages, trotz aller Unterschiede zwischen uns, einen zivilisierten Dialog werden führen und auch, wenn wir anderer Meinung sind, zusammenbleiben können, dass wir nicht nach schweren Worten und nach Gewalt greifen. Damit hat uns das Volk beauftragt, und das verpflichtet alle Abgeordneten im Bundesparlament“, sagte Koštunica. Nach all dem Leiden und Schmerz sehnten sich die Völker Jugoslawiens nach Frieden. Er hoffe, dass man gemeinsam die vielen Probleme in der Föderation werde lösen können, dass die Gemeinschaft zwischen Serbien und Montenegro enger denn je sein werde, dass Kosovo mehr, als es jetzt sei, Teil der jugoslawischen Souveränität und dass Jugoslawien ein gleichberechtigtes Mitglied der Staatengemeinschaft werde.

Die versöhnenden Worte von Kostunica, wirkten beruhigend nach der teils nervösen Parlamentsdebatte. Denn zwanzig Abgeordnetenmandate in beiden Kammern des Bundesparlaments konnten wegen Wahlunregelmäßigkeiten nicht verifiziert werden. Reizbare Stimmung herrschte auch vor der Parlamentssitzung. Die meisten Politiker kamen mit eigenen Leibwächtern. Es kam zu einigen harten Rededuellen zwischen Vertretern der „Demokratischen Opposition Serbiens“ (DOS) und Anführern der Milošević-Sozialisten und der ultranationalistischen „Radikalen Partei Serbiens“ (SRS).

Die Zeit der Feier ist vorbei. Denn es ist immer noch ungewiss, ob Koštunica überhaupt die Bundesregierung wird konstituieren können. Es stehen harte Verhandlungen mit der „Sozialistischen Volkspartei“ (SNP) aus Montenegro, den bisherigen Verbündeten von Slobodan Miloše- vić, bevor. Ohne die SNP hat die DOS keine Mehrheit im Bundesparlament.

Und der prowestlich orientierte Präsident Montenegros, Milo Djukanović, ist gar nicht begeistert von der Entwicklung im jugoslawischen Bundesparlament (siehe Artikel auf Seite 5). Seine „Demokratische Partei der Sozialisten“ (DPS) hat die „verfassungswidrigen und undemokratischen“ Bundeswahlen boykottiert und hat nun keine Abgeordneten im Bundesparlament.

So kann absurderweise die SNP, die kaum einige Prozent bei den Wahlen erhalten hat, über das Schicksal der Föderation bestimmen. Und es ist gar nicht sicher, ob sie nicht doch mit den Milošević-Sozialisten und der „Jugoslawischen Linken“ (JUL), Vorsitzende Milošević’ Gattin Mira Marković, eine Regierung zusammenstellt, die sich kaum von der bisherigen unterscheiden würde.

Noch größer als auf der Bundesebene sind die Probleme in Serbien selbst. Die Mehrheit im serbischen Parlament haben SPS, JUL und SRS, dementsprechend kontrollieren die im Volk verhassten Parteien immer noch die serbische Regierung, das eigentlichen Machtzentrum in Jugoslawien – Serbien ist zwanzig Mal größer als Montenegro.

Koštunica will – und muss – geduldig, Schritt für Schritt vorgehen. Die Medien in Serbien sind befreit worden. Die Armee will sich, vorerst zumindest, nicht in die Politik einmischen, der Polizeiapparat will sich auch neutral verhalten. Doch alle anderen staatlichen Institutionen sind von der alten Nomenklatur besetzt.

Die Aufbruchsstimmung in Serbien ist der stärkste Truph der DOS. Doch wenn die Demokratisierung Serbiens nicht schnell vollständig durchgeführt wird, drohen dem Land wieder Krawalle. Während der Massenunruhen hat die Vertreter des Regimes Milošević panische Angst gepackt, die Angst ums nackte Leben. Doch schon sieht man sie wieder gefasst, arrogant und kampflustig wie eh und je. Und viele von ihnen wissen, dass sie nicht ungeschoren davonkommen werden. Zu viele Verbrechen sind in Serbien begangen worden. Die Demokratie in Serbien hat die erste Runde gewonnen. Doch der Kampf steht erst bevor.