In den Fugen des Englischen

■ Die Autorin Yvonne Vera präsentiert heute ihren Roman „Nehanda“ über eine Ikone der Befreiung Zimbabwes

Yvonne Vera macht keinen Hehl daraus, dass die Rituale, die sie in ihren Romanen schildert, von ihr erfunden sind. Wie ein vorkoloniales Verhältnis zum Land beispielsweise oder zum Tod genau ausgesehen haben könnte, wisse sie nicht, sie habe dieses Leben ja nie gelebt.

Vera wurde 1964 in Zimbabwe geboren und ging 22jährig zum Studium nach Kanada, wo sie mit einer Arbeit über „Das Gefängnis des kolonialen Raums“ promovierte. Begonnen hat sie das Schreiben dort aus einem Gefühl der Entfremdung heraus. „Unabhängigkeitstag“ hieß ihre erste Kurzgeschichte. Darin schreibt sie sich allerdings nicht melancholisch in ein traumhaftes Zimbabwe zurück, sondern reflektiert das Fortdauern patriarchaler Herrschaft über die Befreiung am 18. April 1980 hinaus.

Auch der Roman Nehanda, den sie heute in Hamburg präsentieren wird, entstand noch im Ausland. Es ist der mythischste ihrer Romane. Nehanda hieß die Anführerin des ersten Befreiungskampfes gegen die britischen Kolonialisten, zugleich war sie eine spirituelle Mittlerin zwischen Ahnen und Gegenwart. 1898 wurde sie hingerichtet. Der Roman zeigt durch einen häufigen Wechsel der Zeitebenen zugleich die Möglichkeit und die Unmöglichkeit an, eine durch die Briten verschüttete eigene, eine wahre Vergangenheit „finden“ zu können.

In den späten 40er und 50er Jahren wollten Dichter der Négritude wie Aimé Césaire oder Leopold Senghor schwarzes Selbstbewusstsein noch aus einer als ursprünglich verstandenen vorkolonialen Vergangenheit schöpfen. Dieses mythische Damals, von Frantz Fanon bald als bloß rückwärtsgewandt kritisiert, ist bei Vera längst dekonstruiert. Ihre Sprache ist die einer permanenten Suche. Sie schreibt nicht in Ndebele oder Shona, sondern in der der Kolonialherren: in Englisch. In deren Fugen spürt sie aber sehr genau die Herrschaft der „Rhodies“, wie die britischen Siedler genannt wurden, auf: die Verstümmelungen an Körper und Psyche, die sie der einheimischen Bevölkerung zugefügt haben.

Im deutschsprachigen Raum bekannt gemacht wurde Vera vor drei Jahren vom Lamuv Verlag mit der Kurzgeschichtensammlung Seelen im Exil. Im selben Jahr erschien auch ihr zweiter Roman, Eine Frau ohne Namen. Mit Nehanda liegt jetzt endlich auch Veras Erstling auf Deutsch vor.

Christiane Müller-Lobeck

heute, 19.30 Uhr, Werkstatt 3