Der seltsam normale Realist

taz-Serie: Die Nebenbänkler. Co-Trainer sind, obwohl meist mäßig bekannt, die Konstanten der Bundesliga. Teil 2: Michael Henke, Alter Ego von Ottmar Hitzfeld bei den Münchner Bayern

aus München GERALD KLEFFMANN

Manchmal kommt einem Michael Henke (43) seltsam vor, etwa in jenen kleinen Momenten, wenn er über sein Verhältnis zu Ottmar Hitzfeld spricht. Seit neun Jahren ist Henke dessen Co-Trainer, und in dieser Zeit habe es, sagt er, „keinen echten Streit“ gegeben. Als ob das möglich wäre in der Bundesliga, die ja kürzlich von der Bild-Zeitung als Sudelliga bezeichnet wurde. Aber Henke überlegt, dann sagt er: „Ein Beispiel fällt mir nicht ein.“ Höchst seltsam, das Ganze.

Andererseits ist Henke einiges zuzutrauen. In unserer Welt, in der das Benzin Optimax heißt und die Pommes Kingsize-Größe haben, scheint das Normale wieder das Außergewöhnliche zu sein. So gesehen ist Henke ein besonderer Mensch. Man muss sich nur mit ihm verabreden. Er kommt pünktlich, auf die Minute; drückt einem die Hand, höflich, aber fest; sieht einem in die Augen, hört zu, antwortet in ganzen, grammatikalisch korrekten Sätzen, klingt freundlich und entspannt und verhält sich überhaupt so, wie man es nur von wenigen seiner Kollegen kennt. Warum er so ist, kann Henke nicht sagen, außer vielleicht: „Ich bin kein Außendarsteller.“

Das ist er sicher nicht. Ansonsten wäre die Geschichte vom erfolgreichsten deutschen Co-Trainer der letzten Dekade schon öfter aufgeschrieben worden. Was hat Henke nicht alles gewonnen: deutsche Meisterschaft, Champions League, DFB-Pokal, Weltpokal; verteilt auf sechs Jahre Borussia Dortmund und zweieinhalb Jahre FC Bayern. Hitzfeld, der dabei stets Cheftrainer war, hat den Nimbus des besten Trainers der Welt erhalten. Und Henke? Ist in der Öffentlichkeit so bekannt wie die Schwester von Boris Becker. Aber das sei ihm egal, sagt er. Wichtiger sei die Akzeptanz, die er in seinem Umfeld genieße. Im Hintergrund agieren, den Trainer zuarbeiten, pflichtbewusst seine Dienste leisten. Darin sieht Henke seine Aufgaben – nicht darin, sich aufzuspielen. Genau deshalb funktioniert auch das Gespann Hitzfeld-Henke. Sagen beide. Bei Hitzfeld klingt das so: „Michael ist loyal und kann sich unterordnen.“ Henke meint: „Ich kann meine Position einordnen.“ Als Handlanger fühlt er sich aber nicht. Eher als gleichberechtigter Trainer, dem lediglich „die letzte Verantwortung“ fehlt.

Dass Henke trotz seiner Erfolge unauffällig auftritt, hat Gründe. Henke, geboren und aufgewachsen in Büren, wusste schon immer, Möglichkeiten und Ziele einzuschätzen. Als er Fußballprofi war, in Wattenscheid und Gütersloh in der Zweiten Liga, erkannte er, dass er die „ganz große Karriere“ nicht in Aussicht hatte. Als Henke sein Studium zum Sport- und Geografielehrer in Bielelfeld abschloss, erkannte er, dass der eine Weg, der des Lehrers, aussichtslos und ein anderer, der des Fußballtrainers, der seine war. Er machte die Lizenz und übernahm sein altes Team in Gütersloh, ehe das Angebot aus Dortmund kam. Horst Köppel war sein erster Chef, nach zweieinhalb Jahren folgte – Hitzfeld.

„Wir merkten schnell, dass wir auf einem Level ticken“, erinnert sich Henke an die erste Begegnung 1991. Aus einer beruflichen Zusammenarbeit wurde Freundschaft. Auch zwischen den Familien. Man fliegt gemeinsam in den Urlaub oder geht essen. Henke sagt: „Was Ethik und Moral betrifft, haben wir die gleichen Ansichten.“ Sowas verbindet, schweißt zusammen, was sich auch in den Gesten ausdrückt. Schießt Bayern ein Tor, klatschen zunächst Hitzfeld und Henke ab; beide verfügen über ein ähnliches Repertoir an Körperhaltung, das manchmal an Synchronschwimmer erinnert. Wenn etwa Hitzfeld im Training die Arme verschränkt und Henke das Gleiche tut. „Wir sind ruhige Typen“, sagt Henke. So ergebe sich die eine oder andere simultane Geste. Es ist aber auch ein Zeichen von Respekt. Wer von seinem Gegenüber Verhaltensweisen annimmt, schätzt ihn.

Zu beider Tugenden zählt Ehrlichkeit. Das spürt man, wenn Henke über Gefühle spricht. Er stottert nicht, verwendet keine Phrasen, macht kaum Pausen. Henke wirkt aber generell nicht so, als ob er Geheimnisse hätte und im Keller Schlangen züchtet. Über Tochter Stefanie (12) und Sohn Alexander (11) sagt er: „Ich will sie zu Toleranz erziehen.“ Über seine Ziele sagt er: „Ich will eines Tages Cheftrainer werden. Aber ich bereue keinen Tag als Co-Trainer.“ Über seine Sorgen sagt er: „Mich bedrückt die Flachheit der Gesellschaft.“ Damit meint er etwa den Hype um Big Brother, was ihm zeige, dass wir in einer „absoluten Medienlandschaft“ leben. Umso mehr genießt es Henke, mit den Kindern und Ehefrau Brigitte in einem Vorort Münchens zu leben, wo ihn die Nachbarn kennen, sich aber nicht alles um Fußball dreht. Wie auch bei seinen Hobbys. Ski mag er und Golf, „weil man alles vergisst, wenn man versucht, den Ball zu treffen“.

Und dann erfährt man doch ein Geheimnis: Henke liebt Motorräder. Er selbst hat eine BMW 1200 S. „Eine ideale Geschichte, um abzuspannen“, schwärmt er. Angst vor einem Verkehrsrowdy muss man aber nicht haben. „Ich fahre nicht so schnell“, sagt er. Hat auch keiner erwartet. Von Michael Henke, diesem seltsam normalen Menschen.