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Industriekern sucht Ersatz

Keine Demo, die schweren Tore des Kraftwerks stehen weit offen. Stade reagiert gelassen bis resigniert auf das vorzeitige Aus für sein Atomkraftwerk  ■ Von Gernot Knödler

Stade geht es gut. Das Städtchen an der Schwinge ist sauber, die Fachwerk-Architektur fein renoviert, das barocke Rathaus liebevoll ergänzt. Stadtdirektor Dirk Hattendorff residiert in einem geräumigen Amtszimmer mit schönen alten Türstürzen und moderner Kunst an der Wand. Die Entscheidung, das Atomkraftwerk Stade bereits 2003 abzuschalten, nimmt er gelassen. „Das ist zwar nochmal ein Einschnitt, aber andererseits gibt es jetzt Gewissheit für die Mitarbeiter“, sagt der Verwaltungschef schräg in seinen Sessel gelehnt.

Das jetzt definitiv feststehende Ende des Atomkraftwerks hat in Stade wohl niemanden mehr von den Socken gehauen. Zwar muss die Stimmung bei der gestrigen Betriebsversammlung etwas gedrückter gewesen sein als sonst. Doch seit dem 14. Juni, als das Ergebnis des Atom-Konsenses feststand, hatte man sich in Stade darauf eingerichtet, dass der Reaktor 2004 abgeschaltet werden würde. „Das teilweise krampfige Festhalten am AKW ist seit Sommer vorbei“, sagt Harald Bethke, der Geschäftsführer der ÖTV in Stade.

Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Kraftwerksschließung sind nach Berechnungen der Indus-trie- und Handelskammer gewaltig. 40 Millionen Mark jährlich an Umsätzen werden der Region verloren gehen, rechnet die Kammer vor. Insgesamt 558 Arbeitsplätze gingen verloren – im Kraftwerk, im Landkreis und den Städten Stade und Cuxhaven sowie im Hotel- und Gaststätten-Gewerbe. Denn zur Revision des Kraftwerks reisen jährlich 800 bis 1000 Fachleute für einen Monat nach Stade. Hatten-dorff rechnet allein mit Gewerbe-steuer-Ausfällen in ein- bis zweistelliger Millionenhöhe – allerdings bei einem Haushaltsvolumen von 270 bis 280 Millionen Mark. „Wenn dort jetzt etwas wegbricht, gerät unser Haushalt nicht sofort durcheinander“, glaubt er.

Außerdem wird es ganz so schlimm nicht kommen: Wie aus der Betriebsversammlung durchsickerte, versprach der vollzählig vertretene E.ON-Vorstand, allen Mitarbeitern, die das wünschten einen anderen Arbeitsplatz im Unternehmen. Darüber und über eine Vorruhestandsregelung wollen Betriebsrat und Geschäftsführung in den nächsten Wochen verhandeln. Allein 150 Atomkraftwerker werden für den Abriss gebraucht, der zehn bis zwölf Jahre dauern wird – viel Zeit, um Stade ökonomisch auf einen anderen Dampfer zu setzen.

Die ist auch nötig, weil die Verantwortlichen erst spät aufgewacht sind. Stadt und Kreis haben lange auf die Großindustrie gesetzt, die den Industrie-Standort von Anfang an geprägt hat: Die Keimzelle, so sehen es die meisten, war das Atomkraftwerk. Es lieferte den Strom für die Energie fressenden Vereinigten Aluminium Werke und Dow Chemical. Mit Hilfe des frei werdenden Prozessdampfs baute die AKZO in der Saline ab, das wiederum bei Dow für die PVC-Herstellung verbraucht wurde.

Um den Mittelstand hat sich die Region wenig gekümmert. „Es ist sicherlich in den zurück liegenden Jahren darauf nicht das genügende Augenmerk gerichtet worden“, sagt Christian Freiherr von Bredow, der stellvertretende Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) ein. Der Stader Industrie fehle das vorgelagerte mittelständische Umfeld. „Das ist in Buxtehude ganz anders“, sagt Bredow.

Auch Hattendorff räumt ein, dass es „Nachholbedarf“ gibt. Vor drei Jahren stellte die Stadt deshalb einen Wirtschaftsförderer ein. Der Kreis ist gerade dabei, eine entsprechende Stelle aufzubauen. Vor gut einem Jahr habe Stade ein Technologie-Transferzentrum der Steinbeiß-Stiftung eingerichtet. Wissenschaftler aus Baden-Württemberg beraten dabei Unternehmen in Fragen der Technologie, des Vertriebs und beim Marketing. Und am 21. Oktober werden die Gründertage des niedersächsischen Wirtschaftsministeriums in Stade stattfinden.

Besondere Hoffnungen setzt nicht nur Hattendorff allerdings auf den A3XX. „Es wird in nächster Zeit einen hohen Arbeitskräfte-Bedarf in der Region geben“, vermutet er. In Stade beschäftigt der Airbus-Bauer EADS 1200 MitarbeiterInnen mit dem Bau von Seitenleitwerken beschäftigt. In jüngster Zeit ist Forschungszentrum für die Kohlefaserverbund-Technologie dazu gekommen, die beim Bau der Leitwerke eingesetzt wird. Hattendorff und Bredow hoffen, dass es zum Kristallisationspunkt für die Ansiedlung neuer Firmen werden wird. „Es ist ja nicht so, dass nichts läuft in der Region“, sagt Bredow.

Entscheidend dafür, dass sich Firmen in Stade ansiedeln werden, ist in den Augen Hattendorffs und Bredows allerdings der Anschluss ans Autobahn-Netz durch die A26 nach Hamburg und eine A20 mit Elbquerung. „Die Politiker müssen die Voraussetzungen schaffen, indem sie die Verkehrsinfrastruktur bereit stellen, dann kommt alles andere von alleine“, sagt Bredow. Am 24. Oktober will sich eine bunt gemischte Arbeitsgruppe unter Federführung des niedersächsischen Wirtschaftsministeriums Gedanken darüber machen, wie es weitergehen könnte mit der Region.

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