berliner szenen
: E. T. A. Hoffmanns Stadt

Geheimwelten

In letzter Zeit offenbaren sich bei Leuten, denen ich bis vor kurzem blind meine Wohnung anvertraut hätte, Interessen für Geheimnisse, die sie zuvor selbst erfunden haben. Etwa mein Freund Theo. Mit einem Mal behauptet er, dass es in seiner Straße einen Dönerladen gäbe, der nicht nur ständig vermietet sei (was ja nicht auffällig ist), sondern auch höchstens zwei Mal im Jahr öffne. Ansonsten sei er geschlossen. Nichtsdestotrotz bliebe es für diese beiden einzigen Öffnungstage seit Jahren der gleiche Dönerladen. Das beunruhige ihn. Ist der Laden, wenn er geschlossen ist, ein geheimer Treffpunkt? Theo jedenfalls hat sich tatsächlich einen Tag lang mit einer Zeitung an einem unauffälligen Ort postiert und von dort aus den Laden beobachtet. Dass sich nichts getan hat, hat ihn in seiner Vermutung aber nur bestärkt.

Ähnliches erzählt man sich über das Hotel Adria, das sich einst gegenüber dem Friedrichstadtpalast fand und nun abgerissen ist. Nicht nur, dass nahezu jeder Mensch, den ich kenne, mindestens einmal des Nachts in dieses geschlossene Hotel eingebrochen ist, nein, jetzt, wo es weg ist, wird die Stelle, an der es stand, nicht mehr bebaut. Ein Geheimnis, rufen die Leute verzückt aus und konstruieren mit Straßenplänen und Fantasie eine besondere Lage dieses Hotels und daraus hervorgehend: seine Besonderheit. Einige meiner Bekannten haben tatsächlich versucht, an die Baupläne des abgerissenen Hotels zu gelangen. Andere mutmaßen, die Keller stünden noch und allerhand Bemerkenswertes ginge darin vor. Dabei verdrehen sie die Augen und winken vielsagend mit den Händen.

Das ist Berlin, die Stadt, in dereinst E. T. A. Hoffmann beerdigt worden ist. Seit einigen Monaten nun werden in der Nähe seines Grabes Phänomene beobachtet, die bislang fantasielose Bürgerinnen und Bürger in den Wahnsinn treiben. Das glauben Sie nicht? Dann achten Sie nachts nur einmal auf dieses seltsame Leuchten . . . jz