„Es geht um Kooperation, nicht um Teilung“

Wolfgang Petritsch, Hoher Repräsentant der internationalen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina, über die Beziehungen zu Belgrad

taz: Herr Petritsch, Sie fahren morgen nach Belgrad. Was ist Ihr Auftrag?

Wolfgang Petritsch: Ich bin von dem Lenkungsausschuss des Friedensimplementierungsrates für Bosnien und Herzegowina aufgefordert worden, mit Koštunica Kontakt aufzunehmen. Da wegen der bekannten Ereignisse mit Milošević eine Zusammenarbeit nicht mehr möglich war, heißt das konkret, dass Jugoslawien als Garant der Umsetzung des Vertrages von Dayton wieder ins Gespräch kommt. Es geht darum, für das bisher in Bosnien und Herzegowina Erreichte bei der neuen Führung in Belgrad Unterstützung zu bekommen.

In der serbischen Entität in Bosnien und Herzegowina, in der Republika Srpska, sind kurz nach dem Umsturz Forderungen laut geworden, die auf spezielle Beziehungen zwischen der Republika Srpska und Serbien zielen. Erschwert das nicht die Aufgabe?

Man muss die Prioritäten von Beginn an zurechtrücken. Belgrad muss ganz klar und deutlich die Souveränität von Bosnien und Herzegowina anerkennen, es geht darum, auf Staatsebene diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Erst dann können spezielle Beziehungen zwischen der Republika Srpska und Serbien angegangen werden. Voraussetzung ist die Anerkennung der Gleichberechtigung zwischen beiden Staaten.

Jahrelang wurde von der internationalen Gemeinschaft gefordert, Milošević müsse nach Den Haag geschickt werden, jetzt legt man ein Zwei-Milliarden-Euro-Programm auf, ohne diese Bedingung zu stellen.

Ich meine, dass man in Brüssel und den anderen Hauptstädten weiß, dass es einige Voraussetzungen politischer Natur gibt, die es zu erfüllen gilt, bevor das Geld auch fließen kann. Wenn man nur an die UN-Mitgliedschaft denkt, ist die Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal festgeschrieben, denn das Tribunal in Den Haag ist eine UN-Institution. Die Zusammenarbeit mit Den Haag ist eine ganz selbstverständliche Voraussetzung für die Wiederaufnahme Jugoslawiens in die Weltorganisation und die internationale Gemeinschaft.

Noch ist ja nicht ganz geklärt, wie die Macht in Belgrad wirklich verteilt ist, der vollständige Durchbruch ist ja nicht erreicht. Aber im Prozess der Auseinandersetzung mit der internationalen Gemeinschaft könnten ja auch Weichen gestellt werden, so zum Beispiel in der Frage Kosovo und Montenegro.

Im Augenblick haben wir es in Serbien und damit in Jugoslawien in der Tat mit einer unvollendeten demokratischen Revolution zu tun. In Bezug auf das Kosovo wird man irgendwann eine Grundsatzentscheidung treffen müssen. Ich glaube, dass der Vertrag von Rambouillet ein dazu brauchbarer Vorschlag gewesen ist. Nach einem Krieg und der Vertreibung fällt es der kosovoalbanischen Seite natürlich schwer, den Vertrag von Rambouillet, der eine weitreichende Autonomie beinhaltet, nicht jedoch die Unabhängigkeit und dem sie bereits zugestimmt hat, jetzt noch zu akzeptieren. Ich bin aber zutiefst überzeugt, dass eine Abspaltung oder eine Trennung, wie sie auch in den Köpfen einiger Politiker in Kosovo und Montenegro herumgeistert, nicht der Weisheit letzter Schluss ist.

Psychologisch können sich die Albaner des Kosovo eine solche Lösung nicht vorstellen, das Ganze könnte auch zu einer Explosion führen ...

Ich weiß, dass ich hier mit einem Schuss konkreter Utopie rede. Es muss aber möglich sein, den Teufelskreis von Herrschaft und Unterdrückung zu brechen und politische Partnerschaften zu entwickeln. Die Kosovaren können nur in Zusammenhang mit der internationalen Gemeinschaft ein besseres Leben erreichen. Das muss ihnen auch ein bestimmtes politisches und nationales Opfer wert sein. Für Montenegro ergibt sich die Chance, bei einer Revision der jugoslawischen Verfassung mitzuarbeiten, die eine Gleichberechtigung zwischen Serbien und Montenegro verbürgt.

Haben Sie Angst vor der Freiheit?

Ich? Überhaupt nicht. Ich glaube aber, dass es jetzt nicht um die alten Kategorien geht, um Souveränität oder die Unabhängigkeit. Es geht um Kooperation, nicht um Teilung und Separation.

INTERVIEW: ERICH RATHFELDER