Zwei Register tiefer und reifer

Ex-Briefträger, Stehaufmännchen und Frühfeminist der Country-Musik: Mit seinen „Souvenirs“ und neuen Nuancen begibt sich der Songwriter John Prine erstmals auf Deutschland-Tournee. Spielen nach der Wiederauferstehung

Viele haben seine Songs gesungen, seit er 1972 schlicht mit „John Prine“ debütierte. Johnny Cash und Bette Midler, Alabama 3 und Roberta Flack. Doch auf die Frage, welches denn die ihm liebste Interpretation eines seiner Songs sei, nennt der Kauz mit dem Haar-Hahnenkamm gleich „Angel From Montgomery“ von Bonnie Raitt. Das Porträt einer verbitterten Frau, die sich auf Schwingen aus einer trostlosen Wirklichkeit wegwünscht, ist zum signature song des Mannes aus dem Chicagoer Vorort Maywood geworden. Dass dieser Song mit der Zeile „I am an old woman“ beginnt, mag verwundern, ist aber nur bezeichnend. Denn Prine war seiner Zeit voraus und schon Feminist, bevor andere Männer das Wort buchstabieren konnten. Und er es selbst merkte.

„Ich sah keinen Grund, den Song nicht zu schreiben“, sagt Prine heute. „Schreiben sollte geschlechtslos sein. Viele Frauen haben ‚Angel‘ gesungen, und eine fragte mich mal: Wie konntest du einen Song aus der Perspektive einer Frau schreiben? Ich sagte: Ich hatte nur diese Figur vor Augen, diese Frau, deren Leben nicht mehr stattfindet.“

Das Leben fand oft nicht mehr statt im Leben seiner Protagonisten, die er mit klarer, zuweilen satirisch gefärbter Poesie vorstellte. Prine, der ehemalige Briefträger und „Stadtjunge“ (Prine) mit der romantischen Sehnsucht nach Kentucky, der Heimat seiner Eltern, sang über einsame Alte („Hello In There“) und verklemmte Onanisten („Donald & Lydia“), über Weihnachten im Gefängnis und den Vietnam-Veteranen „Sam Stone“, der den Krieg im Kopf nur mit einer Überdosis gewinnen kann. „Daytime makes me wonder why you left me“, textet Prine. „Night time makes me wonder what I said. Next time are the words I’d like to plan on. But, last time was the only thing you said.“ Große, einfache Song-Kunst.

Seit zwei Dekaden residiert Prine in Nashville. Mit seinem eigenen Label „Oh Boy“ hatte er sich längst von den Zumutungen einer Plattenindustrie gelöst, die ihn Anfang der 80er aufs Abstellgleis geschoben hatte. Sogar kommerzieller Erfolg stellte sich ein: „The Missing Years“, 1992 mit einem Grammy dekoriert, verkaufte sich besser als alle Alben zuvor. Sein Label „Oh Boy“ investiert längst auch in junge Talente, wie den begabten, in Nashville bei einem großen Label gescheiterten Todd Snider, den Prine einst als Chauffeur bei einer Plattenproduktion kennen lernte. Heute darf er im Vorprogramm des Chefs auftreten. Passender Titel: „Happy To Be Here“.

Prine schaffte sogar den Sprung ins Kino, das er in seinem Song „Picture Show“ als kühnen Traum eines Kleinstadtdesperados gezeichnet hatte. In „Falling From Grace“, dem Regiedebüt seines Kumpels und Koautors John Mellencamp, läuft er nach 25 Minuten ins nächste Kornfeld und verschwindet spurlos. Keine sechs Jahre später wäre Prine im wirklichen Leben beinahe verschwunden, wenn auch nicht spurlos. Acht Songs des letzten Albums „In Spite Of Ourselves“ waren bereits im Kasten, als den frisch verheirateten Vater von zwei kleinen Kindern die Krebs-Diagnose ereilte. Noch heute zeugt eine Ausbuchtung im Nacken vom besiegten Tumor. Prine: „Ich sagte nur: Seht zu, dass ihr den Krebs da rausholt, alles andere ist mir egal! Schlimmstenfalls klingt meine Stimme ein bisschen anders.“ Das tat sie tatsächlich, als er, wieder genesen, seine Cover-Hommage an die große Country-Duett-Tradition vollendete.

Ein bis zwei Register tiefer als die Originale fallen auch die „Souvenirs“ (Albumtitel) aus, die Prine gerade in eigener Sache festgehalten hat. Und das durchaus auch im übertragenen Sinne. Zwar nahm er fünfzehn seiner klassischen Songs auch deshalb neu auf, um eigene Masterbänder davon zu haben. Doch wer die aktuellen Interpretationen von „Storm Windows“ und „Please Don’t Bury Me“ hört, könnte fast zu dem Schluss kommen, dass der frühreife Songwriter sein Werk als Interpret erst jetzt wirklich mit Leben füllen kann – mit den Nuancen, die schon immer in diesen Songs steckten. JÖRG FEYER

Die Termine: 12. 10. Hamburg, Fabrik; 14. 10. Berlin, Quasimodo; 16. 10. Frankfurt, Nachtleben; 17. 10. Ehingen (Donau), Lindenhalle; 19. 10. Bochum, Bahnhof Langendreer