Herr Gauck ist arbeitslos – und nun?

Kaum aus „seiner“ Behörde verabschiedet, wird Joachim Gauck heftig umschwärmt: CDU und Grüne machen Avancen

BERLIN taz ■ Schon der Name verheißt Ruhe und Diskretion, die Speisekarte ist erlesen. Angela Merkel kehrt bevorzugt im „Refugium“ am Berliner Gendarmenmarkt ein, wenn sie eine politisch wie kulinarisch delikate Mission im Sinn hat. Vorgestern etwa traf sie sich dort zum schwarzgrünen Tête-à-tête mit Kerstin Müller, der Fraktionschefin der Grünen im Bundestag. Politisch folgenreicher wird möglicher Weise Merkels Mittagessen vom 4. Oktober sein: Da speiste sie mit Joachim Gauck – keine 48 Stunden nachdem dessen Amtszeit als Hüter aller Stasi-Akten zu Ende ging.

Wollte die ostdeutsche CDU-Chefin die ostdeutsche Galionsfigur Gauck für ihre Partei gewinnen? Politisch ist der Mann derzeit Deutschlands attraktivster Arbeitsloser – parteipolitisch ungebunden, als Redner preisgekrönt, als Pastor, Bürgerrechtler und Stasibeauftragter von hoher Integrität. Gerade nach der Spendenaffäre könnten Merkel und ihre angeblich „neue CDU“ einen wie Gauck gut gebrauchen. In der CDU-Zentrale will man sich zu möglichen Angeboten an den 60-Jährigen nicht äußern: „Ein privates Gespräch“, heißt es, „die beiden kennen sich.“

In der Unions-Fraktion im Bundestag wird dagegen aus dem Interesse an Gauck kein Geheimnis gemacht. „Natürlich sollte die CDU sich um Herrn Gauck bemühen“, sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Günter Nooke der taz. Nooke, der auch Sprecher der ostdeutschen Unions-Abgeordneten ist, blickt vor allem auf die neuen Bundesländer: „Herr Gauck wäre eine Bereicherung für ein Kabinett.“ Dies gelte „auch, wenn er nicht in die CDU eintreten würde“.

Ein Vorbild dafür gibt es bereits: Dagmar Schipanski war wie Gauck ostdeutsch, parteilos und in ihrem Fachgebiet profiliert, als die CDU an sie herantrat. Die Union nominierte sie 1998 als Bundespräsidentin, später wurde sie Wissenschaftsministerin in Thüringen. Erst danach trat sie der CDU bei.

Hätte die CDU Erfolg mit ihrem Werben, ständen vor allem die Grünen blamiert da. Immerhin saß Gauck 1990 einst für das Bündnis 90 in der frei gewählten Volkskammer. In den Mitgliedslisten der vereinigten grünen Partei findet sich Gaucks Name allerdings nicht. Der Bundestagsabgeordnete Werner Schulz schlägt gegenüber der taz vor: „Jetzt wäre ein Sonderbeauftragter gefragt, der den Rechtsextremismus angeht. Dafür wäre Herr Gauck ideal geeignet.“ Als Stasi-Beauftragter habe Gauck „Erfahrung darin, die Kräfte der Vergangenheit anzugehen, und das wäre jetzt beim Rechtsextremismus wieder wichtig“.

Gestern offiziell von Innenminister Schily in den Ruhestand verabschiedet, wartet bisher auf Gauck nur ein Gelegenheitsjob als Talkmaster; ob die geplante Show über die beiden Pilotsendungen hinauskommt, will der WDR erst Ende Oktober entscheiden. PATRIK SCHWARZ