Antisemitismus in Frankreich

Islamistische Demonstranten rufen: „Tod den Juden“, Synagogen werden in Brand gesteckt: Frankreich erlebt die Auswirkungen des Nahost-Konflikts im eigenen Land

PARIS taz ■ Seit Ariel Scharons provokativem Auftritt auf der Esplanade der Moscheen in Jerusalem stehen auch im fernen Frankreich die jüdisch-muslimischen Beziehungen unter höchster Anspannung. Nachdem sich in den Vortagen die antisemitischen Beleidigungen, Drohungen und Angriffe auf jüdische Einrichtungen gehäuft hatten, brannte in der Nacht zu gestern in Trappes, einer Vorstadt von Paris, eine Synagoge teilweise aus. Die Polizei vermutet Brandstiftung. Es war das vierte jüdische Gebetshaus in Frankreich, das binnen einer Woche von Unbekannten beschädigt wurde.

Sprecher der jüdischen Gemeinde Frankreichs – mit 700.000 Mitgliedern ist sie nach Israel und den USA die drittgrößte der Welt – zeigen sich seit mehreren Tagen über die Zuspitzung beunruhigt. Sie baten die französische Regierung um Schutz für Synagogen und jüdische Schulen. Der französische Großrabbiner Joseph Sitruk sagte bei einem Krisentreffen mit Staatspräsident Jacques Chirac am Sonntag: „Uns droht Gefahr, im Inneren unseres Landes.“

Der antisemitische Schlachtruf „Tod den Juden“ ertönte erstmals bei pro-palästinensischen Demonstrationen in der vergangenen Woche in Paris. IslamistInnen aus aller Welt – darunter neben PalästinenserInnen auch AfghanInnen und AlgerierInnen – vereinnahmten die Demonstrationen, zu denen ursprünglich linke Gruppen aufgerufen hatten. Laizistische Demonstranten – darunter Muslime und Juden –, die gekommen waren, um für einen „Stopp der Massaker“ zu demonstrieren, verließen die Umzüge fluchtartig.

Bei der großen französischen Antirassismus-Gruppe Mrap wurden in der Nacht zu Sonntag die Fenster des Pariser Hauptsitzes eingeschlagen. Inzwischen erstattete die Mrap Anzeige wegen der antisemitischen Slogans auf ihrer Demo.

Bei Versammlungen von französischen Muslimen und Juden ist gegenwärtig viel von der „Parteilichkeit“ der Staatsspitze und der Medien die Rede. Während jüdische DemonstrantInnen am Dienstagabend Staatspräsident Chirac vorwarfen, „pro-palästinensisch“ zu sein, schimpfen muslimische Franzosen über die angebliche „jüdische Lobby“ im Land.

Bei französischen Vorstadtjugendlichen, deren eigene Vorfahren aus nordafrikanischen Ländern stammen,spielt hingegen eine eigenwillige Identifikation die Hauptrolle: Sie vergleichen ihre miserable soziale Lage mit jener der Palästinenser in den besetzten Gebieten.

DOROTHEA HAHN