Schülerprotest stößt an seine Grenzen

Eigentlich wollten sie nur eine Demo gegen den Leistungsdruck in der Gesellschaft organisieren. Doch damit handelten sich einige Strausberger Schüler und Schülerinnen, die auch sonst gerne über Gott und die Welt diskutieren, Ärger ein. Aufgeben wollen sie dennoch nicht, die Demo findet statt

Der Selbstmordeines Schülerswar der Tropfen auf den heißen Stein

von BARBARA BOLLWAHN
DE PAEZ CASANOVA

Sie wurden von vielen Seiten gewarnt. „Macht das lieber nicht, es könnte euch schaden“, sagten einige Lehrer, die es „nur“ gut meinen. „Seid vorsichtig, das könnte euch die Zukunft versauen“, rieten einige Eltern. „Geht doch erst mal arbeiten“, meinten Leute aus der Stadt. Der Vorsitzende der Jungsozialisten bezeichnete ihr Anliegen als „zu radikal“, und der Schuldirektor bangt um den Ruf der Schule.

Adressat dieser Warnungen ist eine Schülergruppe eines Gymnasiums in Strausberg. Eigentlich haben diese Schüler und Schülerinnen nichts anderes im Sinn, als eigenständig zu denken und ihre Meinung zu artikulieren – eine Haltung, die allerorten eingefordert wird. Die 15- und 16-Jährigen bereiten seit Wochen eine Demonstration in Strausberg vor – mit Spendengeldern haben sie Hunderte von Brandenburger und Berliner Jugendclubs angeschrieben, Plakate geklebt und Flyer verteilt – und haben bisher mehr Widerstand als Unterstützung erfahren.

Der Grund: Nicht allen gefällt, wogegen die Schülergruppe demonstrieren will. Sie rufen für Samstag zu einer Demonstration „gegen den Druck der Leistungsgesellschaft“ unter dem Motto „Lasst uns klein anfangen“ auf. Sie wollen Schüler und Schülerinnen animieren, „für das Recht, die eigene Persönlichkeit frei entfalten zu können – ohne Zwänge, ohne diskriminierenden Leistungsdruck“ – auf die Straße zu gehen.

Schon seit einigen Jahren machen sich die Initiatoren Gedanken über „Distanz und Oberflächlichkeit“ und über Leistungsdruck in der Gesellschaft. Zu denken gibt ihnen, dass Schüler, die „nur“ auf eine Real- oder Gesamtschule gehen, „abgestempelt werden, weil sie angeblich weniger Bildung haben“. Viel zu viele Schüler würden von ihren Eltern unter Druck gesetzt, „ohne Abitur nichts in der Gesellschaft zu sein“. Als sich dann am Tag der Zeugnisausgabe ein Mitschüler das Leben nahm, wollten sie „Worten Taten folgen lassen“. So enstand die Idee, ihr Anliegen auf die Straße zu bringen.

Die Bedenken und Widerstände, auf die sie trafen, haben die Schülerinnen und Schüler überrascht. „Wieso sollte es uns schaden, etwas für mehr Menschlichkeit untereinander zu tun?“, fragt eine der Initiatorinnen, die wie auch die anderen ihren Namen nicht nennen will. „Wir wollen nicht noch mehr Ärger bekommen“, so die Begründung. „Immer wird eigenständiges Handeln gefordert“, ergänzt eine andere, „beginnt man aber eigenständig zu denken, wird man gebremst“.

Nachdem ihnen der Direktor ihres Gymnasiums, den sie von sich aus aufsuchten, zu verstehen gab, dass sie in ihrer Freizeit so viel demonstrieren könnten, wie sie wollten, aber den Namen der Schule rauszuhalten hätten, wollen sie nicht mal mehr den Namen der Schule in der Zeitung sehen – obwohl es in Strausberg nur ein Gymnasium gibt. Während sie in ihrer Pressemitteilung zu der Demonstration noch von „einem Suizid im näheren Bekanntenkreis“ schrieben, sagen sie jetzt: „Der Selbstmord war vielleicht der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte“, sagen sie, „aber wir distanzieren uns davon“.

Die Märkische Oderzeitung berichtete Mitte September zum ersten Mal über die geplante Demo in einer Kurzmeldung, in der der Name der Schule – das Theodor-Fontane-Gymnasium – genannt wurde. Warum auch nicht. Schließlich will die Schülergruppe ja nichts Böses anstellen.

Doch in einem anonymisierten Interview mit drei Schülerinnen eine Woche später taucht der Name der Schule nicht mehr auf. Außerdem wurden sie in dem Interview explizit danach gefragt, ob die Demonstration „also nicht nur um Schule geht“. Der Vater einer der Schülerinnen sagte gegenüber der taz, dass er vermute, dass der Direktor des Gymnasiums die Demonstration „als gegen ihn gerichtet“ empfinde und Angst habe, „die Schule könne beschmutzt werden“.

Die Organisatorinnen machen den einen Erfolg der Demonstration allerdings nicht von Teilnehmerzahlen abhängig. Denn eines haben sie bereits jetzt gelernt: „zu argumentieren und zu überzeugen, das sind Erfahrungen, die uns später nützen“, sind sie sich einig. „Was ist schlimmer?“, fragt eine von ihnen, „das Wissen, es nicht versucht zu haben, oder ein gescheiterter Versuch?“

Zivilen Ungehorsam hat es in Strausberg, Sitz des ehemaligen Verteidigungsministeriums der DDR und ehemaliger Wohnort des Kosmonauten Siegmund Jähn, lange nicht mehr gegeben. Als Strausberger Schüler aus Frust eine Scheune anzündeten – als Reaktion auf den Mauerbau – , so steht es in einer Festschrift der Zeitung des Gymnasiums, waren die Schülerinnen noch nicht geboren. Trotzdem ziehen sie einen Vergleich mit einer Mauer: „Man kann drüberklettern oder stehen bleiben“, sagt eine von ihnen.

Samstag, 14. Oktober, 14 Uhr Demonstration „Gegen den Druck der Leistungsgesellschaft“, S 5 Richtung Strausberg Nord, Haltestelle Hegermühle, Treffpunkt: Shell-Tankstelle (Ernst-Thälmann-Straße)