Fashion Victims für eine Nacht

Als Clubsound der Stunde soll 2 Step mit dem Versprechen auf volle Champagnergläser den Mainstream erobern

von JÖRG SUNDERMEIER

Berlin, Pavillon am Weinbergsweg. Die Macher von Berlins berühmtesten Expiratensender Twen FM veranstalten eine Party. Und dort, wo früher gerader, schillernder House lief, gibt es nun gebrochene Beats zu hören. Neben dem DJ steht ein weiblicher MC und versucht mit aller Macht, die Tänzer anzufeuern. Das ist nicht leicht. Denn es ist nicht Drum ’n’ Bass oder BigBeat, was hier die Tänzer auf der Tanzfläche hält, es ist 2 Step. Allerdings sind es noch nicht allzu viele Jünger, die der neuen Musikreligion folgen. An diesem Abend haben sich hierher vielleicht achtzig Leute verirrt. Das ist selbst für einen kleinen Club zu wenig. So ist auch klar, dass die Party nicht bis in die Morgenstunden andauern wird.

Trotzdem: Spätestens seit diesem Sommer können es auch alle Nichtszenekenner sagen: 2 Step ist das neue Ding. Und wohin man auch schaut, in die Clubs vom WMF in Berlin über das Phonodrome in Hamburg bis zum Frankfurter Monza – alle haben inzwischen ihre festen 2 Step-Termine, manche Clubs gehen sogar jede Woche mit der neuen Mode. Doch noch ist man in den meisten Läden vorsichtig und belegt nicht die besten Wochenendtage mit einem 2 Step-Abend. Allerdings hört man immer öfter von bekannten DJs, die plötzlich einen 2 Step-Part in ihr bislang jedem anderen Sound- und Beatmuster verschlossenes Houseset einbauen.

Der Durchbruch dieses Genres wurde nicht zuletzt durch den Erfolg des Elektronikduos Artful Dodger und ihres Zöglings Craig David möglich. Mit deren Charttopper „Re-Rewind“, dessen Schlachtruf „Bo Selecta!“ wie nichts von den britischen Schulkids aufgegriffen und in jedem Bus gesungen wurde, und mit der merkwürdigen lasziven Billigkeit der neuen Stars war die Entwicklung vom UK-Underground-Garage hin zum 2 Step endgültig vollzogen. Auf britischen Sendern sind nun allerorten 2 Step-Tunes mit ihren trickreich gebrochenen Beats und ihren sanften, aber eindringlichen Drum-’n’-Bass-Sounds zu hören, und die Leiche des Fahrstuhljazz wird ein weiteres Mal ausgiebig gefleddert. Zu allen Stilbruchstücken gesellt sich melodisches MCing und ein schöner, zumeist live eingesungener Frauengesang. DJs sind hier am Werk, deren elaborierter Musikgeschmack und jahrelanges, oft engstirniges, von Shitwolken umhülltes Eingegrabensein in Drum-’n’-Bass -Festungen sich nun bezahlt macht: Sie können plötzlich mit ihrem reichen musikalischen Wissen die Massen verzaubern.

Was dabei herauskommt, und etwa auf der symptomatischen Mixcompilation „Sound Of The Pirates“ von Zed Bias zu hören ist, hat durchaus charmantes Popformat, das stöckelschuhklappernd und seidenhemdig wie wild nach überschäumenden Champagnergläsern giert. Der Traum von Reichtum, wie ihn so nur ziemlich arme Leute haben können – eingelöst in einem mit schlichten Mitteln (Cocktailkleid, Sonnenbrille) auf elegant gewendeten Popversprechen. Reichtum und Luxus dienen den 2 Steppern als reine Objekte der Begierde, hier können der junge, schöne Autoschlosser Bob und seine Freundin Marsha, die als Verkäuferin jobt, Fashion Victims für eine Nacht sein.

Vor dieser Musikentwicklung stand der britische New Musical Express zunächst ratlos. Und in Deutschland hat die Musikpresse auf einmal mit dem merkwürdigen Phänomen zu kämpfen, dass etwas, was sie gerade erst als musikalischen Underground zu entdecken lernt, bereits zeitgleich in die Charts marschiert. Die Verwirrung ist durch ein bis jetzt aus dem Rockbereich nachwirkendes Ideal von „Underground“ zu erklären – ein Ideal, das, da es hier zu Lande weder einen weit verbreiteten Klassenbegriff noch halbklandestine Plattenvertriebe gibt, nichts anderes sein kann als ein Mittel zum Distinktionsgewinn.

2 Step gilt dennoch als Underground-Musik und wird vornehmlich über die in England weitgehend geduldeten Piratensender verbreitet, damit bekommt es in Deutschland schnell den Status von Geheimwissen. Doch da ist andererseits der Massenerfolg des neuen Genres. Das Fachblatt für elektronische Lebensaspekte, De:Bug, hat sich verhältnismäßig spät auf 2 Step eingelassen und verharrt bislang in vornehmer Distanz, das Popmagazin Spex überlässt den Trend noch eher konfusen Plattenrezensenten, lediglich die Zeitschrift Groove und noch einige minder bedeutende Magazine feiern den Trend ganz unverschämt, veranstalten sogar 2 Step-Partys, bestehen dabei aber trotzdem auf einer feinen und genauen Unterscheidung zwischen gutem (ausdifferenziertem) und bösem (einfachem) 2 Step.

Doch leider taugt 2 Step nur bedingt als popkulturelles Kapital. Mögen es auch gute Gründe gewesen sein, warum sich Lichtgestalten des Genres wie MJ Cole einst vom Drum ’n’ Bass abwandten und freiere Formen der Spaßvermittlung suchten. Inzwischen, wie Kodwo Eshun schreibt, werden die jeweils neuesten Mördertunes schon morgens von den Schulkids auf der Straße gesungen, werden die Hits auf der Tanzfläche von den Tänzern mitgeträllert, und längst schon verhelfen 2 Stepper den Vorortkids zu einer fröhlichen Corporate Identity: „I feel good in the Neighbourhoo“ lässt beispielsweise Zed Bias schmettern. Die Firma Edel, die mit Blümchen reich wurde, ist in Deutschland derzeit die aktivste 2 Step-Vertriebsstelle. Und sie vertreiben neben Craig David und einer etwas sehr an Bravo-Hits gemahnenden 2 Step-Kompilation, die bereits im Fernsehen beworben werden, eben auch jenen MJ Cole, dessen Album zu feiern sich noch kein Musikjournalist verkneifen konnte.

In Großbritannien ist 2 Step längst zum Kampfmittel der darniederliegenden Popindustrie geworden. Mit diesen Stücken, die ja oftmals zu richtigen Songs gemacht werden, soll endlich der Sieg gegen den amerikanischen R ’n’ B errungen werden. Und das vor allem durch Vereinnahmung: Craig David etwa wurde von seinen Produzenten regelrecht zum swingenden R-’n’-B-Star stilisiert. Auch gilt es als großer Vorteil dieser Musik, dass nun die Frauenstimmen wieder real eingesungen werden, was den Ambitionen der Sängerinnen angeblich sehr entgegenkommt und ihnen sogar die Möglichkeit lässt, eigene Texte „einzubringen“ – allerdings ist auch im großen 2 Step-Business bislang noch keine produzierende Frau gesichtet worden. Andere Popstars schließlich, wie etwa die Mitglieder der Spice Girls, lassen sich bereits maßgeschneiderte 2 Step-Remixe anfertigen.

2 Step ist britischer Pop, und er erfüllt eine ähnliche Funktion wie Disco in den Siebzigern. Worte wie Piratensender und Underground haben in diesem Kontext wenig zu bedeuten. Für die Modernisierungsverlierer im Lande Tony Blairs allerdings bedeutet 2 Step eine Möglichkeit zum Ausbruch aus dem tristen Alltag – wenn schon nicht als Sängerin oder DJ, so doch zumindest als Tänzerin und Tänzer.

Was aber hat der hiesige Clubbesucher vom 2 Step? Ohne den nationalistischen Hintergrund und ohne diese Form der Vorstadtarmut klingt der hier zu hörende 2 Step-Sound oft schon ein bisschen manieriert und langweilig. Vielleicht aber gefällt ihm ein 2 Step, wie ihn die BigBeater Tanith und ED2000 aus Berlin produzieren: Ihnen gibt 2 Step wie sonst nur Freestyle-Breakbeats die Möglichkeit, alles im großen Soundtopf zu verrühren. Wie die von ihnen veranstalteten Partys mit BigBeats und 2 Step zeigen, kommt dieser Eintopf auch bei deutschen Tänzerinnen und Tänzern sehr gut an. So könnte 2 Step vielleicht eines Tages auch hier mehr bedeuten als nur die von der Fernsehwerbung versprochenen vollen Champagnergläser.

Zed Bias: Sound Of The Pirates (Locked On/Connected), Tanith: Illegal 001 (www.dj-sets.com), 2 Step Selection: The Finest Sounds Of UK Garage & 2 Step (edel), 2 Steps Ahead (Polymedia) Tournee: MTV-2Steps-Ahead-Tour: 27. 10. Berlin (Dante), 28. 10. Dresden (German Club), 3. 11. Köln (Theater am Rudolfplatz), 4. 11. Hamburg (White Room), 10. 11. München (Raum 8),11. 11. Stuttgart (Maria)