Sich teilen und nicht herrschen

Gefährlicher als die Rückzugsgefechte der alten Machthaber Serbiens, die nicht von der Regierung lassen wollen, sind die sich anbahnenden Konflikte in den Reihen der DOS. Milošević wird dies zu nutzen wissen

BELGRAD taz ■ Die Gespräche zwischen der Demokratischen Opposition Serbiens (DOS) und der von Slobodan Milošević kontrollierten serbischen Regierung über vorgezogene Parlamentswahlen in Serbien sind in eine Sackgasse geraten. Ausgerechnet die alte Nomenklatur beruft sich nun auf Gesetz und Verfassung, wirft DOS illegale Methoden vor und weigert sich, die in einem ganzen Jahrzehnt auf und ausgebauten Machtpositionen freiwillig zu verlassen. Zwar hat Milošević derzeit nicht genug Kraft für einen entscheidenden Schlag. Doch ausreichend Hindernisse kann er dem Demokratisierungsprozess immer noch in den Weg stellen, in der Hoffnung, dass DOS-Führer an deren Überwindung scheitern werden.

Die demokratischen Kräfte sahen sich gezwungen, dem Regime ein Ultimatum zu stellen: Sollte die serbische Regierung bis Freitag keine vorgezogenen Wahlen ausschreiben, würde sie die Bürger Serbiens wieder zu Massenprotesten aufrufen. „Wir verlangen, dass die Wahlen für den 17. oder den 24. Dezember ausgeschrieben werden“, erklärte einer der DOS-Führer, Zoran Djindjić. Das sei absolut notwendig, denn der Staat würde so lange nicht richtig funktionieren können, bis ein neues, demokratisches Parlament gewählt und eine neue serbische Regierung konstituiert worden sei. Ein weiterer DOS-Führer, Vladan Batić, warnte das Regime davor, mit dem Feuer zu spielen.

Das größte Problem für DOS ist, dass sie zwar auf die Unterstützung des Volkes zählen kann, jedoch über keine tatsächliche Macht verfügt. Die Armeespitze hat zwar versichert, sich aus politischen Konflikten herauszuhalten, die Loyalität der Polizei, die dem serbischen Innenministerium untersteht, bleibt jedoch ein Rätsel.

Als einen großen Erfolg für sich hat DOS schon verbucht, dass die Polizei während der Massenproteste in Serbien am 5. Oktober nicht gegen die Demonstranten eingegriffen hat, ja sich sogar zum Teil mit den Menschen solidarisierte. Auf der anderen Seite können die DOS-Führer aber nicht damit rechnen, dass die Polizei sie bei der Abrechnung mit dem Regime aktiv unterstützen würde. Nach dem Rücktritt des serbischen Innenministers übernahm, zumindest formal, der aktuelle serbische Ministerpräsident Mirko Marjanović die Kontrolle über die Polizei. Der Premier ist einer der treuesten Gefährten von Slobodan Milošević.

Doch noch wesentlich Besorgnis erregender als diese Rückzugsgefechte der alten Herrscher Serbiens, die nicht von der Macht lassen wollen, sind mögliche Konflikte in den Reihen der DOS. Die Koalition ist ein Zusammenschluss aus 19 grundverschiedenen Parteien, Bewegungen und Bündnissen, die seit ihrer Gründung nur ein gemeinsames Ziel verbunden hat: Slobodan Milošević zu stürzen. Und worauf sich Milošević bisher immer verlassen konnte, war die sprichwörtliche Spaltung der Opposition, der Streit zwischen Einzelnen, die ihre persönlichen Eitelkeiten wichtiger nahmen als die politischen Notwendigkeiten.

Eigentlich die bis dahin einzige falsche Einschätzung von Milošević bei den für ihn katastrophal ausgegangenen Wahlen vom 24. September war, dass DOS nicht von allein auseinander gefallen ist.

Als Vorsitzender der einflusslosen Demokratischen Partei Serbiens (DSS) kommt Vojislav Koštunica eigentlich aus der zweiten Reihe. Nun ist er ganz sicher der politische Star des demokratischen Serbiens geworden. Eine Rolle, in der sich der bis vor kurzem wesentlich bekanntere Zoran Djindjić, Chef der im Rahmen von DOS größten Demokratischen Partei (DS), wahrscheinlich am liebsten selbst sehen würde. Während Koštunica Staatsmänner aus der ganzen Welt zu Gesprächen empfängt, hat Djindjić das eigentliche Kommando im Prozess des Machtwechsels übernommen.

Dass einige führende Oppositionelle schon wieder ihr eigenes Süppchen kochen, ist Koštunica nicht entgangen. So erklärte er in einem Interview gegenüber der US-Tageszeitung International Herald Tribune, beim Aufbau neuer Strukturen habe er fast genauso viele Probleme mit seinen Freunden, wie mit seinen Feinden von der alten Regierung. Koštunica deutete an, dass DOS zerbröckele und beklagte, dass einige DOS-Mitglieder politische Äußerungen machen würden, ohne sie vorher mit ihm abgesprochen zu haben. Namentlich kritisierte er dabei Zoran Djindjić.

Unter der Oberfläche eines friedlichen Übergangs zur Demokratie brodele ein nur schlecht kontrollierter „Vulkan“, sagte Koštunica. Überdies versuchten einige DOS-Mitglieder, sich auf illegalen Wegen die Kontrolle über Ministerien und Firmen aus dem Dunstkreis des gestürzten Staatschefs Slobodan Milošević zu sichern. „Ich kann nicht alles gutheißen, was da läuft“, erklärte Koštunica. Die Frage, wie er das künftig zu verhindern gedenke, ließ der Präsident offen. ANDREJ IVANJI