Die Sache mit „Fritz“

Schrankwände verleihen Schlafzimmern oft eine drückende Atmosphäre – sind aber praktisch. Milchglas soll für Wohnlichkeit sorgen  ■ Von Kaija Kutter

Mit „Fritz“ stand ich von Anfang an auf Kriegsfuß. Weiß, 2 Meter 20 hoch und fünftürig stand er in der Wohnung meines Freundes an der Wand und machte einen ohnehin kleinen Raum zum Schlauch. Klar, dass dieses Serienmöbel eines schwedischen Herstellers bei erster Gelegenheit zerteilt wurde. Man kann es nämlich nicht nur um beliebig viele Segmente erweitern, sondern auch wieder ganz kurz machen. So hatten wir bald zwei Fritzis mit zwei Türen, einem im Schlafzimmer und einem im Flur. Die fünfte Tür hatte keine Wände mehr und wurde meinem ästhetischen Empfinden geopfert.

Überhaupt Schränke, wer redet schon davon. Schränke sind alt und aus Mahagoniholz und stehen seit Ewigkeiten bei Oma in der Ecke, weil sie immer dort standen. Kleidung, so dachte ich, als ich mit 18 in die erste WG zog, kann man auch in Pappkartons, Bücherregalen oder gar den legendären Apfelsinenkis-ten lagern. Dafür Behältnisse für teures Geld zu kaufen, das schien absurd.

Heute denken viele anders. Er sei gerne spießig, sagte mir der jüngere Bruder eines Freundes, als er kürzlich mit 25 (!) sein Elternhaus verließ. Dem Umzug in eine Zwei-Zimmer-Wohnung mit Freundin ging eine sorgfältige Planung und Marktanalyse voraus. Gleich mehrere Besuche bei den einschlägigen Möbelhäusern in Hamburgs Umgebung waren nötig, bis die passende Eckschrankwand gefunden war, die, maßgefertigt geliefert und mit Buchenfurnier verkleidet, nun etwa ein Drittel des Schlafgemachs verstellt. Dabei war das Paar auch noch renitent und kaufte das dazugehörige Doppelbett mit Rückenpanelen und Konsolentischchen nicht von der selben Serie, wozu „Möbel-Kraft“-Verkaufsleiter Mirco Kiesel eigentlich prinzipiell rät, „weil man sonst die Hölzer nicht passend zusammen kriegt“. Kiesel: „Jeder Hersteller lackiert anders. Wenn dann die Hölzer farblich abweichen, das sieht nicht aus.“

Unser Paar war trotzdem zufrieden. „Ist doch praktisch, solltet ihr euch auch kaufen“, wurden wir von der älteren Generation ermahnt, als wir bei der Wohnungseinweihung das Riesenmöbel betrachteten.

Derlei Hinweise machen mürbe. So viel so praktisch weggepackt ist bei uns nie. Als wir schließlich umzogen und ein großes Schlafzimmer bekamen, im dem Fünf-Türen-Fritz ohne Frage Platz hatte, bauten wir ihn in voller Größe wieder auf. Der Schrank war nützlich, bis zum Rand mit Kleidung gefüllt, aber unser Schlafzimmer war dafür aller Schönheit beraubt und zum Funktionsraum degradiert. Wer mag schon gern auf zweieinhalb Meter weiße Streifen mit dunklen Rillen gucken? Auch das Aufkleben von Kinderzeichnungen milderte den Grusel nicht. Nur auf Rillen gu-cken, das macht rammdösig. Fritz wurde wieder zerteilt, in nächtlicher Panikaktion, weil es ganz schnell gehen musste, und zu drei Fünfteln auf dem Sperrmüll entsorgt, denn Möbel aus Presspappe und Spanplatte zerbröseln, wenn man sie zu oft auf- und abbaut.

Und nun? Möbelpark Sachsenwald, Dodenhof, Ikea, fast täglich flattern uns Werbeprospekte mit Komplettlösungen für Schlafräume ins Haus. Das Studium dieser Produktinformationen legt nahe, dass auch Designer eine Abneigung gegen Rillenmonotonie entwickelt haben. Die Schrankfronten werden aufgelockert, mal ein Spiegel hier, mal eine eingebaute Schubladenreihe da und auch ein bisschen Farbe. „Letztes Jahr war es Gelb und davor Blau“, erinnert sich Mirco Kiesel. In diesem Herbst auf der Möbelmesse in Ostwestfalen „als Trend aufgefallen“ sind eingebaute Milchglasscheiben, wie Rolf Bremann von Dodenhof berichtet. Glassegmente machen Räume „wohnlicher“, verspricht der Möbelhaus-Geschäftsführer, und entsprechen somit dem Trend, „das Schlafzimmer als Lebensraum zu betrachten“.

„Bei Milchglas schimmert durch, was drin ist. Der Schrank wirkt leichter“, sagt auch die Hamburger Innenarchitektin Petra Ruf. Vor eingebauten Spiegeln kann die auf Feng Shui spezialisierte Expertin allerdings nur warnen. Da der Astralleib nicht zur Ruhe komme, könne dies Schlafstörungen verursachen. „Auch in anderen Kulturen wie Indien hängen die Menschen nachts die Spiegel zu“, weiß Ruf.

Der studierten Einrichterin muss man die Bedenken gegen Schrankfronten nicht lange erläutern. Gleichwohl fehle es an Alternati-ven. Ruf: „Viele Menschen haben einfach so viele Sachen, und in eine Schrankwand bekommt man viel rein“. Und man habe „geschlossene Flächen“, die auch schön gestaltet sein können. Moderne Varianten dagegen, wie offene Kleiderstangen oder Kleiderbügel, die an einer Kette hängen, brächten „zuviel Unruhe in den Raum“.

Menschen, die ein wohnlicheres Schlafzimmer wollen, empfiehlt Petra Ruf eine „Ausmist-Aktion“. Man könne dann die Kleider in einem Einzelschrank unterbringen und einen Sessel daneben stellen. „Aber auch da legt man wieder Sachen drauf“. Bietet die Wohnung dies an, könnte man auch einen anderen Raum nutzen, um Hemden und Hosen unterbringen. Ruf: „Das kommt auf die Lebenssituation an. Denn dann muss es möglich sein, dass die Menschen ohne Kleidung durch die Wohnung laufen und dies auch mögen.“

Welche Verwicklungen. Es zeichnet sich deutlich ab, wenn ein Paar kein getrenntes Schlafzimmer möchte – was aus Expertinnensicht heute auch nicht mehr als „schlimm“ betrachtet wird, weil die Gesellschaft hier „sehr viel freier geworden ist“ (Ruf) – dann kommt es als Schnittmenge der gemeinsamen Möbel um die Schrankwand nicht herum. Ich kann diese, wenn überhaupt, am ehesten im Ikea-Katalog ertragen, wo sie im adretten Funktions-Mix zwischen Schummerlampe, Maltisch und Kinderteddy präsentiert werden. Bei der Vor-Ort-Recherche erweisen sich die Kanten als scharf und die Türknöpfe als klein, trotzdem hat Askedal, ein Sechtürer mit Schubladen und Milchglasscheiben in der Mitte, die Chance, Fritzens Nachfolge anzutreten, eines Tages, eine sorgfältige Planung und Marktanalyse vorausgesetzt.