Sex-Texte non stop skandiert

Very female macho: Bei „Peaches“ zittern Männer bis zur letzten Reihe  ■ Von Barbara Schulz

Um die Ecke steht ein Wort auf einen Garagententor: „Suck“. Eigentlich müsste man den Spruch mit pinkfarbenem Sprühlack vervollständigen: „Suck and let go“. So heißt ein Stück auf dem Super-Album The Teaches of Peaches von Peaches alias Merrill Nisker, einer Mittdreißigerin aus Toronto, Kanada, die jetzt in Berlin lebt, auf dem dortigen Label Kitty Yo veröffentlicht und vormals unter anderem Kindern musikalische Früherziehung gab. Auf dem Album-Cover ist Peaches' Rumpf in pinkem Bauchfrei-T-Shirt und pinkfarbenen Shorts zu sehen. Auf dem dazugehörigen unpraktischen Doppel-Vinyl hört man, wie allerorten schon zu lesen war, harte Beats aus der Box und manchmal sogar eine richtig fiese Hardrock-Gitarre. Dazu eine coole Stimme, die nonstop Sex-Texte skandiert. Das wiederum trieb so manchen Musikkritiker prompt in den Wahn. Zum Beispiel Martin Büsser, Antipop-Autor, Testcard-Herausgeber und im vorliegenden Falle Visions-Schreiber: „Sängerin in knallengem roten Lederhöschen brabbelt geil und auf naiv getrimmt von ihrer Lust, von den Männern überrannt zu werden.“

Mag sein, dass er das gern tun würde (oder worauf solch eine Wahrnehmung sonst hindeuten könnte), aber ach, hätte er doch nur genauer hingehört. Da geht es nämlich nicht darum, sich Männern auszuliefern, sondern darum, mit ihnen Spaß zu haben. Und zwar selbstbestimmten: „Mir ist danach, mit Peaches die Bedeutung von ,bitch' zurückzuholen und das Tanzen zurückzubringen – ich will es stark, nicht verletzlich“, sagt eine aufgeräumte, toughe und supersympathische Peaches, die am Abend nach unzähligen Interviews („Shit! Die meistgestellte Frage war: Wie fühlt man sich als Frau im männerdominierten Musik-Biz? Als wenn ich ein Alien wäre.“) im Café sitzt. Sie trägt eine Bluse mit vielen kleinen Playboy-Hasen darauf. „Wenn ich auf der Bühne tanze, tue ich das für mich selbst, nicht für jemand anderen.“

Sie hat kein Kabel-TV, um ihre Phantasie in Fluss zu halten, und verbringt viel Zeit vor dem Spiegel, um coole Bewegungen zu probieren und sich Videos und Super-8-Filme auszudenken. Ein Resultat war das Video zur ersten Single „Lovertits“, in dem Peaches und eine Freundin sich leidenschaftlich in ihre Fahrräder verlieben und daran herumlecken. Ein wahrer Lichtblick inmitten der vielen nackerten Frauen in HipHop-Videos. Ihr Lieblingsvideo ist „It's Raining Men“ von den Weather Girls: Halbnackte Männer regnen auf zwei angezogene Sängerinnen herab – genau nach dem Geschmack der sich gern als „very very female macho“ gerierenden Peaches, die dazu noch dem schwarzen Humor frönt. Ob sie gut Gitarre spielen kann? „Ich spiele nur mit einem Finger, nämlich dem Mittelfinger!“ Haha. Sie ist keine ausgebildete Musikerin und hatte lange Zeit überhaupt nicht vor, „ernsthaft“ Musik zu machen – bis sie auf ihre heißgeliebte MC-505-Beatbox traf und merkte, wie schnell und problemlos sich damit gute Songs machen lassen.

Warum sie aus Kanada wegging? „In Kanada haben sie kein Geld für irgendeine Art Kultur, die nicht totaler Mainstream ist. Jetzt, wo wir Peaches machen, eine Art kanadischen Export, lesen sie dort deutsches Zeug. Ich bin jetzt bestimmt berühmt in Kanada.“ Das gleiche gilt für ihren alten Kumpel Gonzales, den Andy Kaufman des Trash-HipHop, der erst nach Berlin kommen musste, um von dort aus die englischen Style-Gazetten wie The Face im Sturm zu nehmen. Peaches bringt immer Freunde und Freundinnen mit auf die Bühne. Meist eben Gonzales, manchmal aber auch ihre Freundin, Bitch Laplap, mit der sie singt und Filme dreht, oder auch mal Sänger von Rockbands, die dann auf die Bühne kommen und in hautengem T-Shirt Luftgitarre spielen dürfen.

Peaches macht, worauf sie Lust hat. Und sie hat definitiv große Lust, ein Rockstar zu sein. „Die 90er waren voller Shoegazing-Bands ohne Persönlichkeiten. Dann kam elektronische Musik, und wieder gab es keine echte Unterhaltung, keine Performance. Ich liebe Elektronik, aber ich brauche auch Rock'n'Roll. Also versuche ich, beides zu kombinieren.“ Wie sehr das funktioniert, konnte man vor einigen Monaten im Molotow bewundern. Das war kein Konzert, es war eine Orgie an Sound, Schweiß und Besessenheit. „Gonzales und ich sind infiziert von der entertainer disease. Wir müssen einfach auftreten und unseren Scheiß unter die Leute bringen“. Mal sehen, mit wem diesmal.

Sonntag, 21 Uhr, Molotow