Fleischeslust ist gut fürs Karoviertel

Diskussion um Erweiterung der Messe ins Karoviertel dauert an: Fleischgroßmarkt boomt und sieht nicht ein, dass er weichen soll. Und er hat gute Standortargumente  ■ Von Gernot Knödler

Mit dem Fleischgroßmarkt (FGH) konkurriert ein ökonomisch höchst potenter Bewerber gegen die Messe um das Gewerbegebiet im Karoviertel. Das hat ein Gutachten der Buchloer Food Consulting ergeben, das am Donnerstag abend den BewohnerInnen und Gewerbetreibenden des Viertels vorgestellt wurde. Der Umsatz der 188 Firmen des Großmarkts ist mehr als zwanzig Mal höher als der Umsatz der Messe. Im Gegensatz zur Messe arbeitet der Großmarkt überdies mit Gewinn. „Wir sind ein hervorragender Arbeitgeber und Steuerzahler“, sagte FGH-Geschäftsführer Hans Guthold. „Warum sollten wir die Flächen hergeben?“

Nach den Zahlen der Gutachter ist der Großmarkt mit seinen Firmen wichtig für die Wirtschaft der ganzen Stadt. 1,85 Milliarden Mark Umsatz haben seine Firmen im vergangenen Jahr gemacht – doppelt soviel wie 1993, als der Schlachthof privatisiert wurde. Die Messe- und Congress-Gesellschaft (HMC) machte 1999 einen Umsatz von 72 Millionen Mark. 57 Prozent der direkt im Großmarkt beschäftigten 2700 Menschen wohnen innerhalb eines Fünf-Kilometer-Radiusses um ihren Arbeitsplatz. Viele der Jobs erfordern nur eine geringe oder mittlere Qualifikation, so dass der FGH die angrenzenden Stadtviertel sozial stabilisiert.

85 Prozent der Betriebe beschäftigen weniger als 21 MitarbeiterInnen. Untereinander arbeiten sie eng zusammen. Güter und Dienstleis-tungen, die ein Betrieb gerade nicht anbieten kann, übernimmt ein anderer. Faktisch handle es sich bei dem Großmarkt um einen „Marktplatz für Gewerbetreibende“, sagt Martin Gremmer. In Zukunft, so der Gutachter, solle sich der FGH vor allem ums Fleisch kümmern, seine Produkte aber noch stärker veredeln.

Für den Senat sollte Food Consulting vor allem eine Frage klären: Lässt sich eine Ausdehnung der Messe mit einer Weiterentwicklung des Fleischgroßmarktes vereinbaren? Gremmers Kollege Helmut Rauber antwortete mit „Ja“, obwohl er einräumte: „Dem Flächenbedarf der Messe kann nicht nachgekommen werden, wenn nicht im Bereich des Fleischgroßmarktes ein Ausgleich geschaffen wird.“ Im Klartext: Die Messe will ein Stück vom heutigen FGH-Gelände haben und dafür soll der FGH Ersatz bekommen.

Dazu könnten FGH-Gebäude aufgestockt, durch höhere Bauten ersetzt oder der FGH um Hallen nördlich der Lagerstraße ergänzt werden. Die Fläche des Großmarktes würde sich nach den Vorschlägen Raubers auf jeden Fall vergrößern. Insgesamt werde der Großmarkt jedoch nicht sehr viel mehr Fläche als heute benötigen. „Der Fleischgroßmarkt wird nicht im gleichen Maße wachsen wie heute“, sagte Rauber. Das zeige die allgemeine Entwicklung der Branche.

Guthold und seine Kollegen sahen das anders. „Wir brauchen Erweiterungsmöglichkeiten, weil wir weitere Betriebe ansiedeln möchten“, argumentierte der FGH-Chef. Wenn der Großmarkt wahllos für Firmen der verschiedensten Branchen geöffnet werde, dann könnte er gleich umgekehrt die Messe verdrängen, konterte Gremmer mit sarkastischem Unterton.

Der Fleischgroßhändler Walter Schmid und Nils Boltze, für die SPD im Kerngebietsausschuss Mitte, plädierten dennoch dafür, das FGH-Gelände nicht anzutas-ten. Stattdessen solle die Messe nördlich der Lagerstraße erweitert werden. „Warum sollte man nicht die Messe vom Sternschanzenbahnhof bis zum Dammtorbahnhof entwickeln?“, fragte Boltze. Weil die Messe andere Pläne hat, ließe sich antworten.

Deutlich wurde das im Verkehrsgutachten, das Rolf Hüttmann vom Büro Masuch und Olbrisch vorstellte. Seine Machbarkeitsstudie sah in allen Varianten eine Verlegung oder Unterbrechung der Lagerstraße vor. Hüttmann empfahl, die Straße von Westen aus als Stummel enden zu lassen und auf dem Ostteil des Geländes mit einem Parkhaus und Messehallen zu bebauen. Der Verkehr würde über die Rentzel- und Karolinen- sowie die Sternstraße in das Gebiet rollen.

Der Gutachter hatte überdies den Auftrag, 7200 Parkplätze zu planen. Um diese Zahl zu erreichen, schlug er vor, eine dreistöckige Tiefgarage mit 1500 Plätzen zu errichten und zwei weitere unter dem Heiligengeistfeld zu bauen. Die Glacischaussee zu unterkellern oder sie mit Park-Paletten zu versehen, erklärte er für unrealistisch.

Hüttmann ging von der maximalen heutigen Besucherzahl von 25.000 Menschen am Tag aus. „Die Messe erwartet keine höheren Besucherzahlen mit der Erweiterung“, so der Gutachter, „sondern sie ist froh, wenn sie die heutigen Zahlen halten kann.“ Ein Parkleitsystem und die Abschottung des Karoviertels gegen die Autos der Messe- und Dom-Besucher würden seiner Meinung nach genügen, um das Verkehrsproblem in den Griff zu kriegen, zumal die Messe gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen sei.

Heute von 10 bis 13 Uhr werden die übrigen Gutachten zur Erweiterung in der Messe-Halle 11, 2. Etage, Raum Kopenhagen vorgestellt.