Löcher im Geustermor!

■ Neu im Edith-Ruß-Haus: In der „Mor“-Welt von Torsten Haake-Brandt wird Arbeit in Nichts und Kringel in Kunst verwandelt

Eigentlich hatte Torsten Haake-Brandt ja nur einmal „raus“ gewollt. „Den Voll-Kontakt mit den Menschen suchen“, wie er selbst sagt, und bewarb sich 1991 – gerade frisch gebackener Stipendiat des Berliner Künstlerhauses Bethanien – auf alle möglichen gewerblichen Stellenangebote, die ihm vor die Flinte kamen. Neben frischen Impulsen für das Schaffen sollte der Feldversuch auch ans Tageslicht bringen, wie viel den Leuten Kunst wirklich bedeutet, respektive: Wie steht es ganz genau um die gesellschaftliche Würde des Künstlers? Und wie können Künstler bloß ihre besonderen Talente sichtbar in den Produktionsketten der modernen Industrie nutzbar machen?

Also bewarb sich Haake-Brandt im Hause Schwartau als Lebensmitteltechnologe für Marmelade, als Handreiniger bei der Stadtreinigung Berlin oder als Generalintendant bei der Stadttheaterdirektion Aachen. Stets mit Verweis auf seine einschlägige Qualifikation: „... bin Künstler und interessiere mich für diese verantwortungsvolle Aufgabe.“ Am Ende reichte es nur für einen Job als Nachtwächter in einem großen Hotel. Und in den langen Nächten, die er sich mit Kaffee, Nikotin und gelegentlichen Kontrollgängen um die Ohren schlug, konnte der 42-jährige nicht umhin zu bemerken, dass „ich unter permanenter Langeweile leide.“ Über das eigentliche Forschungsziel seiner Autosozialstudie war er damit bereits hinausgeschossen. Dafür hatte er ein neues Leitmotiv für seine Arbeit gefunden. Langeweile, Zeitbewältigung und Wiederholung in Produktion und Kunst sollten fortan die tragenden Säulen des Haake-Brandtschen Gedankengebäudes sein.

Seine vielfältigen Versuche aus den vergangenen neun Jahren, Monotonie und Langeweile sinnfällig in Szene zu setzen, sind derzeit im Oldenburger Edith-Ruß-Haus für Medienkunst in einer Ausstellung mit dem fantasievollen Titel Geustermor zu bewundern. In den mit „Trash“ aller Art und Videoinstallationen üppig ausstaffierten Etagen der Galerie, tauchen Besucher in eine Welt der Kringel, O's und Löcher ein. Gartentische und Sitzbänke bringen zwar zunächst eine Portion Biergartenatmosphäre in den Saal. Doch von Bierkrügen und Weißwürsten keine Spur – statt dessen papierne Lochstreifen, über die Tische verteilt, in Flaschen und Einweckgläser gestopft, an den Wänden und sonst wo. „Hier können die Leute tatsächlich eine leere Flasche voller Löcher bewundern“, scherzt der gebürtige Kieler, der seine künstlerischen Ambitionen als Schaufensterdekorateur entdeckte.

Seine Obsession mit den runden Formen begann in der Wachstube. Haake-Brandt rückte der Langeweile zu Leibe, indem er Kringel malte, immer nur Kringel. Die sind inzwischen sorgfältig abgeheftet in dicken Aktenordnern. Sie spiegeln jene gebetsmühlenhafte Wiederholung wieder, die den Leuten in den Büros und an den Ladentheken jegliche Schöpfungsgabe austreibt. „Nullschöpfung“, meint Haake-Brandt. Auf mehreren verstreuten Monitoren ist der Künstler beim Verrichten unterschiedlichster Routinejobs zu beobachten, denen er angeblich fünf Tage die Woche acht Stunden pro Tag nachging. Haake-Brandt beim Schütteln von Barilla-Nudel-Packungen, Haake-Brandt beim Tätowieren von eingefrorenen Suppenhühnern, Haake-Brandt beim Absingen von Kfz-Schildern. Monotone Arbeitsprozesse werden zum absurden Entertainment. Die erdrückende Aura der Sinnlosigkeit wird noch verstärkt, durch plakative Spruchbänder: „Heute verteilt SchrÖder BonbOns in EurOpa“, „Dolly Buster hat zweifellOs die schÖnsten Opernbälle“ oder „Jil Sander erÖffnet heute eine BOutique in TOkio“. Monotonie rund um die Uhr, weshalb es auch scheißegal ist welcher Tag heute zufällig ist. Gestern ist wie heute und morgen genauso wie gestern. GeustermOr eben!

Michael Hollmann

Bis 29. 10. Edith-Ruß-Haus für Medienkunst, Katharinenstr. 23, Infos unter % 0441-235 2568, www.edith-russ-haus.de