Wenn sich Kettensägen entrüsten

■ Wie sich Genie und Laster in Bertolt Brechts „Baal“ zusammenfügen, wurde jetzt auch in Andrej Worons Eröffnungsinszenierung im Bremer Schauspielhaus nicht ganz klar. Doch einen schönen Abend vereitelte das nicht

Zwei wunderbare neue Schauspieler gab es zum Auftakt der neuen Spielzeit zu sehen: Natürlich Kay Dietrich alias Baal, unter dessen Speckschichten sowohl Grazie als auch Kraft im Verborgenen schlummern, aber leider nur in ganz wenigen Momenten sichtbar werden dürfen. Dieses Gesicht mit den amorphen Wangen aber zubeißenden Augen passt glänzend zu einer Figur, in deren Anpassungsverweigerung ebensoviel Dumpfbackigkeit und faule Wurschtigkeit wie Intelligenz, Verzweiflung und Sehnsucht stecken.

Und dann Fritz Fenne alias Ekart, Baals einzigem Freund, der mit seinem coolen Dreinschauen jederzeit in einer HipHop-Band Platz hätte und so vielleicht zeigt, wie mainstreamig heute das Bürgerschreckspiel geworden ist. Toll, wenn diese Coolness zerfließt. Und vielleicht ist es diesen beiden zu verdanken, dass ein Stück, welches mit seinem Bösewichtgetue durchaus auch nerven kann, gut anzusehen ist.

Am Anfang aber kommt's dick. Brechts Vater war Direktor einer Papierfabrik. Und das erste, was der 20-jährige Student der Medizin in seinem ersten Theaterstück meint tun zu müssen, ist einen Fabrikanten aus der selben Branche – er macht in Zimtholz – zu entlarven. Klassischer Fall von Vatermord. Dieser Mech diniert kultiviert, ist aber reich wie es nur ein Schwein sein kann. Er will den Dichter Baal zu Schmuckzwecken käuflich erwerben. Dichter Baal dagegen diniert zwar wie ein Schwein. Als Dichter aber ist er Edelmann und pfeift auf die Kohle des Möchtegernmäzenaten. Das nennen wir Spiegelsymmetrie. Diese Kritik am Kunstmissbrauch des Bürgertums ist noch immer teils richtig, aber heute auch abgestanden. Und man kommt wohl nicht umhin, den „Baal“ in all seinem Mut, seinen Tabubrüchen, aber auch in seinen Vorstellungen über ein Leben unter dem Schutz von Gedichtzeilen und dem Sternenhimmel als (auch) historisch zu betrachten.

Nach der Fabrikantenepisode lässt Brecht seinen Protagonisten inspiriert von Villon und Rimbaud die Welt durchstreifen. Dabei bemüht sich Baal redlich, alle Benimmregeln zu vergessen. Doch er schädigt sich selbst und wenn Kay Dietrich am Boden fletzt, sind seine Glieder zwar frei aber auch lasch. Besonders einfallsreich ist Brecht in der Darstellung von Außenseitertum nicht: Es geht ums Huren und Saufen. Einmal darf Baal sogar neben dem Leichnam eines Holzfällers die Flasche zücken, woraufhin sogar die Elektrosägen der Holzfäller in tiefer moralischer Erschütterung aufheulen.

Das Mann-Frau-Verhältnis im „Baal“ ist nicht besonders modern zu nennen. Die Frauen sind jungfräulich und erliegen deshalb dem urgewaltigen Triebdruck des Herrn Baal ganz hilflos. Danach schmeißen sie sich entweder ins Wasser oder lassen sich vorher noch bis an die Schmerzgrenze erniedrigen. Das ist Kitsch. Zum Glück lässt Brecht den hinter sich, wenn er zu Baal als Dichter kommt. Und es sind wohl die vielen schönen, über die konkrete Baal-Geschichte hinausgehenden Gedichtzeilen, die den Baal am Leben erhalten.

Regisseur Andrej Woron packt das Stück so wie es ist. Geniegesten nimmt er ebenso ernst wie Baals Anfälle von Sadismus und Verzweiflung. Und so verzichtet er auf eine schlüssige Psychologisierung des Unschlüssigen. Baal bleibt ein fast postmodern aufgesplitterter Charakter. Das ist natürlich erlaubt. So sehen wir eben, wie sich ein kluger, starker Jüngling in den 20erJahren Rebellentum in all seinen Chancen und Risiken vorgestellt hat.

Aber warum muss Woron die liebenswerte, zarte, hochschwangere Katja Zinsmeister alias Sophie auch noch in ein hauchdünnes weißes Kleidchen stecken und sie zum Herzerweichen hinter dem barschen Baal hinterdreintrippeln lassen. Da hätte man zum Beispiel aus Brechts eigenen wirren Weibergeschichten ablesen können, dass es gar nicht so einfach ist mit der Zuschreibung von Opfer- und Täterschaft und dass nicht alles böse ist, was böse aussieht.

Das Bühnenbild ist ein Wohncontainer in einem Karree aus Stahlplatten und im ersten Moment mag der Zuschauer stöhnen: oh Gott, schon wieder heilige Einfachheit, die ödet. Doch wie Woron sein geringes Material durch Licht, Oben-Unten-Hierarchien und sogar echte Wasserspiele nutzt, das überzeugt lückenlos. Ein gespenstischer Stieraufmarsch wird gebrochen durch ein lautes „Muuuh“ und gewichtige lyrische Passagen, ergänzt durch eine superkomische Slapstickeinlage zum Thema Auskotzen.

Und so hinterlässt der Abend einen zwar nicht restlos klaren, befriedigenden Eindruck, aber einen guten. Wahrscheinlich ist er dem Stück exakt angemessen. Für alle buten & binnen-Zuschauer: Die Elektrosägen funktionierten nach der Schulung durch einen Profisäger hervorragend. bk

Weitere Vorstellungen: 15., 18., 22., 28. Oktober um 20 Uhr im Schauspielhaus