Sitten & Gebräuche
: Einmal um den Mutterkuchen

■ Junge Elternpaare stellen merkwürdige Sachen mit ihrer Nachgeburt an

Dass mein Kühlschrank nur einen Stern besitzt, hat mich eigentlich nie gestört. Für ein kaltes Bier war immer genug Frost im System, frische Fische sind auch am nächsten Tag noch frisch, und Gemüse soll man ja ohnehin auf dem Markt kaufen. Es war der 9. Juli 2000, der alles veränderte.

An diesem Tag kam mein Söhnchen zur Welt. Am nächsten Morgen begab sich die frisch gebackene Kleinfamilie nach Hause. Mit im Gepäck: Die Plazenta, mit der sich der kleine Janek den Platz in der Gebärmutter geteilt hatte. Ich habe schon fast wieder vergessen, wie dieses wundersame Austauschorgan überhaupt ausgesehen hat. Wie ein Baum vielleicht, wenn man es gegen das Licht hält. Ziemlich blutig auf jeden Fall. Unsere Hebamme im Diako hat es in eine knisternde grüne Plastiktüte gepackt. Darunter eine Pappschale, damit es nicht tropft.

Nach einem Tag im 1-Sterne-Fach drängte alles auf eine Entscheidung. Was tun mit dem bedeutungsschwangeren Souvenier? Ob der Apfelbaum auf dem Balkon der richtige Platz dafür ist? Oder doch die Nachbarin mit dem Gefrierfach fragen? Die Entscheidung sah so aus: An einem feucht-warmen Sommertag schwingt sich der Jungvater aufs Fahrrad, einen glänzenden Spaten in der Hand, die Pappschale mit dem Mutterkuchen auf dem Gepäckträger. Da, wo die Stadt in die freie Landschaft übergeht, vergräbt er den Kuchen unter einem alten Apfelbaum. Schön tief, damit keine Tiere daran nagen. Und einen gestandenen Baum kann auch kein ignoranter Bauer so einfach ausreissen.

Es gibt noch eine ganze Menge anderer Möglichkeiten, die Plazenta vor dem Weg in die Sondermüllverbrennung zu bewahren. Auch wenn nur wenige BremerInnen davon Gebrauch machen würden, wie Hebamme Heike Lohmeyer, 29, festgestellt hat. In der Esoterik-Szene gebe es Leute, die den Mutterkuchen „ganz cross“ gebacken essen würden. Aus energetischen Gründen, gewissermaßen. Andere sollen sich das gute Stück chemisch konserviert in die Vitrine stellen. Die populärere Praxis, einen Baum zu pflanzen, hält sie für einen „netten Brauch“, in dem manche Eltern eine Alternative zur Taufe sehen würden.

Außerdem soll der Mutterkuchen mit seinen ganzen Östrogenen guter Dünger sein: Früher habe man gesagt, die Hebammen hätten die schönsten Blumen, so Hebamme Lohmeyer. Und noch ein Histörchen: Es soll eine Zeit gegeben haben, in der die Hebammen die Nachgeburt unter dem Wochenbett stehen ließen – damit die Wöchnerin vor möglichen sexuellen Attacken ihres Mannes geschützt ist. Ganz ohne Kühlung. hase