Normale Geburt ohne Arzt

■ Bremer Hebammen konzipieren den bundesweit ersten Kreißsaal unter Hebammen-Leitung /Ärzte kritisieren fehlende rechtliche Voraussetzungen / Im Ausland schon längst Realität

Schwangere müssen sich entscheiden: Entweder bringen sie ihr Kind zuhause oder im Geburtshaus nur mit Hilfe einer Hebamme zur Welt, oder sie gehen ins Krankenhaus, wo ein Arzt die Entscheidungen trifft. Im Land Bremen könnte es bald eine weitere Option geben: Der Landesverband der Hebammen arbeitet an einem Konzept für ein Modellprojekt „Hebammenkreißsaal“: In einer Geburtsklinik soll ein Kreißsaal von Hebammen in Eigenverantwortung gemanaget werden. Dort könnten alle Frauen gebären, deren Schwangerschaft unproblematisch verläuft – auf Krankenkassenkosten und ohne Zuzahlung. Bei Komplikationen könnten sie direkt in einen benachbarten, konventionellen Kreißsaal verlegt werden, wo ein Arzt und das ganze medizinische Arsenal zur Verfügung stehen.

„Eine normale Geburt braucht keinen Arzt“, sagt Sabine Krauss selbstbewusst. Zusammen mit Bremens „oberster Hebamme“, der Landesverbandsvorsitzenden Antje Kehrbach, leitet sie die Projektgruppe für den Hebammenkreißsaal. Eigentlich, so Krauss, trage die Idee einer Forderung Rechnung, die die Frauenbewegung in den 60er Jahren erhoben hatte: Sie wollte den natürlichen Prozess von Schwangerschaft und Geburt nicht „medikalisieren“ lassen.

In Dänemark, Großbritannien und Norwegen sind Entbindungsstationen unter der Leitung von Hebammen längst usus. Mit Erfolg: In Dänemark kommen schon 35 Prozent aller Kinder in solchen Einrichtungen zur Welt. Laut Studien ist ihre Bilanz dieselbe wie bei Geburtsstationen unter ärztlicher Leitung. Das heißt, ohne Arzt steigt die Rate der Totgeburten nicht, und auch geburtsbedingte Fehlbildungen kommen nicht häufiger vor.

Für den Hebammen-Kreißsaal spricht laut den Initiatorinnen, dass Hebammen weniger „Interventionen“ vornehmen. Weniger Zangengeburten, Dammschnitte, Geburts-einleitungen durch Wehentröpfe oder Medikamente – Antje Kehrbach sieht darin großes Potenzial, zu Einsparungen im Gesundheitswesen beizutragen. Aber vor allem kommt die Zurückhaltung den Müttern zugute, die den Studien zufolge die Klinik zufriedener verlassen. Selbst wenn im schlimmsten Fall das Kind tot zur Welt kommt, verarbeiten die Frauen nach der Geburt in einem Hebammenkreißsaal das Trauma besser.

„Wir haben eigenständige Kriterien für unsere Arbeit. Sie entspringen einem Berufsverständnis von Begleitung im Lebensprozess“ erklärt Sabine Krauss. Ganz anders sieht das Taylan Öney, Chefarzt der Frauenklinik am Zentralkrankenhaus Links der Weser: „Es gibt eine einheitliche Geburtshilfe, deshalb sehe ich erstmal den Vorteil eines Kreißsaals unter Hebammen-Leitung nicht.“

Außerdem befürchtet der Gynäkologe Probleme mit der Haftung im Fall von Behandlungsfehlern: „Die rechtlichen Voraussetzungen müssten erstmal geklärt werden.“ Für Antje Kehrbach ist das kein Argument: „Bei Hausgeburten tragen wir auch schon jetzt die volle Verantwortung. Und auch bei Fehlern in Krankenhäusern werden Hebammen mitverurteilt.“

Das Modellprojekt macht auch einen latenten Konflikt zweier Berufsstände sichtbar: Hebammen ringen um die Anerkennung ihrer Fachkompetenz, Mediziner fürchten den Einflussverlust. „Es geht auch um die Definitionsmacht“, räumt Sabine Krauss ein: „Die Medizin legt ihre Hand auf gesunde Prozesse.“ So gelten hierzulande 80 Prozent aller Schwangerschaften als Risikoschwangerschaften, die ärztliche Kontrolle erfordern – „über solche Zahlen können die Skandinavier nur lachen“, sagt dazu Antje Kehrbach. Sie hält es dagegen langfristig für möglich, dass über die Hälfte aller Kinder ganz ohne ärztliche Hilfe zur Welt kommen.

Statt aufwendiger Diagnose-Technik setzt das Bremer Projekt auf eine ganzheitliche Betreuung: Von der Geburtsvorbereitung über die Geburt bis hin zum Wochenbett soll ein festes Hebammen-Team die Schwangeren begleiten. Zurzeit läuft die Suche nach einer geeigneten Klinik, die das Modellprojekt durchführen will. Für Verwaltungsleiter kann das eine interessante Perspektive sein: Der Geburtenmarkt ist heiß umkämpft. Die Kliniken modernisieren ihre Kreißsäle um die Wette. Marketingsanalysen haben nämlich ergeben, dass die Erfahrungen mit der Geburtshilfe für die Krankenhauswahl ganzer Familien ausschlaggebend sind.

Die Option „Hebammenkreißsaal“ könnte ein Vorteil gegenüber der Konkurrenz sein. Als „Bonbon“ kommt für die Kliniken hinzu, dass es eine begleitende Forschung geben soll, für die die Initiatorinnen derzeit Stiftungsmittel einwerben. Derzeit, soviel verraten sie, stehen sie mit zwei Kliniken in konkreten Verhandlungen, davon eine in Bremerhaven. In welchem Krankenhaus auch immer: Bis die Bremerinnen im bundesweit ersten Hebammenkreißsaal entbinden können, werden noch mindestens zwei Jahre vergehen. Jan Kahlcke