Das Coming-out der Polizei

Die Ordnungshüter sind tolerant geworden: Der transsexuelle Michael Ritter bekommt keinen Ärger, wenn er in Frauenkleidern zum Dienst erscheint. Eine verständnislose Kollegin wurde versetzt

Michael Ritter weiß über seine Polizei-Dienststelle nur Positives zu berichten. „Natürlich gibt es Mobbing bei der Polizei, aber es gibt auch problemlose Fälle.“

von BARBARA BOLLWAHN
DE PAEZ CASANOVA

Die Polizei, oft gescholten für Intoleranz, zeigt sich überraschend offen für Minderheiten. Zumindest die Direktion 6. Dort wird in der Hauspostille demnächst ausführlich zu lesen sein über „Transsexualismus“, „Transvestismus“ und über „sexuelle Beziehungen eines männlichen Transsexuellen“. Der Grund: Der Verfasser des Textes, der als Leserbrief veröffentlicht werden soll, ist selbst transsexuell und kommt seit März dieses Jahres ganz offiziell in Frauenkleidung zur Arbeit und wird – obwohl biologisch noch ein Mann – als Frau angesprochen.

Bis es so weit war, versteckte der 33-jährige Angestellte Michael Ritter (Name geändert) sein „Frausein“ unter der Polizeiuniform. Wenn er als männliche Politesse, offiziell „Polizeiangestellter im Verkehrsüberwachungsdienst“ – er selbst nannte sich „Politeur“ – Strafzettel verteilte, wusste nur er von der weiblichen Unterwäsche unter der Dienstkleidung. Dass er sich nie auf der Dienststelle umzog und das von Baarthaarepilationen oftmals stark gerötete Kinn mit Schminke abdeckte, taten seine Kollegen nach seinen Angaben als „Spleen“ ab. Außer gelegentlichen Tuscheleien sei er keinen Anfeindungen ausgesetzt gewesen, sagt Ritter, der 1988 seinen Dienst bei der Polizei bei der Volkspolizei in Köpenick begann.

Damit das so bleibt, informierte er im Herbst vergangenen Jahres den Personalrat und den Dienststellenleiter über seinen geplanten Wandel vom Mann zur Frau, nachdem er sich im Laufe einer psychoanalytischen Psychotherapie darüber klar geworden war. „Meine weibliche Identität verfestigte sich, der Leidensdruck, als Mann zu leben, wurde größer. Es reichte mir nicht mehr, nur weibliche Unterwäsche unter der Uniform zu tragen.“ Bei einem Gespräch mit dem Dienststellenleiter, so Ritter, sei seinem Chef „zuerst die Kinnlade runtergefallen“. Doch dann habe er ihm zugesichert, eine Regelung zu finden.

Die sah so aus, dass Ritter einen neuen Dienstausweis bekam, in dem neben einem Foto mit weiblicher Frisur und Schminke das männliche Geschlecht am Namen nicht zu erkennen ist. Denn der Vorname ist abgekürzt. Außerdem steht „Angestellter“ im Dienstausweis. Ritter besitzt zudem ein ärztliches Attest, aus dem hervorgeht, dass er sich „wegen einer Störung der Geschlechtsidentität in ärztlicher Behandlung befindet und in der weiblichen Geschlechtsrolle auftritt“. Das braucht er beispielsweise, wenn er an Michael Ritter adressierte Schreiben in Frauenkleidung bei der Post abholen will.

Auf die Frage, warum er gerade jetzt den Schritt an die Öffentlichkeit wagt – wenige Tage nach der Bekanntwerden der Geschichte von Bianca Müller, der Bundessprecherin der Kritischen Polizisten, die seit ihrem Wechsel vom Mann zur Frau gemobbt wird (taz vom 9. Oktober) –, antwortet Ritter: „Natürlich gibt es auch Mobbing bei der Polizei, aber ich will zeigen, es gibt auch problemlose Fälle.“ Über seine Dienstbehörde weiß er nur Positives zu berichten: „Ohne die dortige Unterstützung wäre ich nicht so weit.“ Die Polizeipressestelle, deren Einverständnis sich Ritter geholt hatte, ist normalerweise zurückhaltend mit der Einwilligung zu Pressekontakten von Polizeiangehörigen. Nicht so in diesem Fall. „Es handelt sich nicht um einen Einsatz, sondern um das eigene Erleben eines Polizeiangehörigen“, erklärt eine Behördensprecherin.

Negativpresse ist in diesem Fall ohnehin nicht zu befürchten. Im Gegenteil. Ritters Geschichte klingt wie aus einem Bilderbuch „Transsexuelle bei der Polizei“. All seinen Bitten wurde entsprochen: Weil er „nicht mehr mit der Uniform klarkam“ und sich „nicht dem Druck auf der Straße aussetzen wollte, mit weiblicher Kleidung und tiefer Stimme Strafzettel zu schreiben“, ist er seit März im Innendienst. Seitdem erscheint der 1,83 Meter große Mann in Frauenkleidung zur Arbeit und darf auf die Damentoilette gehen. Auf sein Bitten hin reden ihn seine Kollegen zudem mit Frau an.

Nur eine Kollegin auf seiner Dienststelle hatte Probleme mit Ritters Wechsel vom Mann zur Frau. „Sie schämte sich, mit so jemand zusammenzuarbeiten, und beleidigte mich“, erzählt Ritter. Michael Kreckel, Leiter der Direktion 6, veranlasste daraufhin die Versetzung dieser Kollegin, obwohl Ritter das nicht wollte. Kreckel: „Nicht der Betroffene geht, sondern der Störfaktor.“

Der Polizeidirektor hat in seinen 34 Jahren Dienstjahren einiges erlebt. Beispielsweise den Wechsel eines Kollegen vom Mann zur Frau, ebenfalls in seiner Direktion. „Der wurde mit einer neuen Vita ausgestattet, das lief problemlos.“ Mit einer Konstellation wie bei Ritter jedoch hatte er keine Erfahrungen. Weil Kreckel weiß, dass das nicht nur ihm so geht, erhofft er sich von der Veröffentlichung von Ritters Text über Transsexualität in der Hauspostille einen Aufklärungseffekt für andere Kollegen.

Das ist ganz im Sinne von Ritter. „Was ist denn, wenn Beamte auf dem Transenstrich in der Potsdamer Straße ein Auto anhalten und eine Person mit männlicher Stimme und weiblichem Aussehen antreffen?“